05. August 2022
Weil Mark Zuckerberg seinen Konzern in Meta umbenannt hat, könnte man meinen, das Metaversum hätte etwas mit Facebook zu tun. Hat es auch: Weil es Facebook in seinen Urfesten bedroht. Wie die Nutzer:innen sich das Web 3.0 zurückerobern – und was Marketer Metaverse-fit macht.
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin „sales“, Ausgabe 1/2022, der Bonsai GmbH,
Autor: Christian von den Brincken, Ströer Core
Zwischen geglaubtem Ende der Corona-Pandemie und nicht geglaubter Aggression Russlands gegen die Ukraine war das Thema kurz in aller Munde: Das Metaverse. Es wird zu gegebener Zeit wieder eine Renaissance erleben.
Das Wichtigste vorweg: Es hat wirklich nichts mit Second Life zu tun. Wenn Sie denken, dass wir das doch schonmal vor einigen Jahren hatten, lesen Sie diesen Artikel. Second Life von Linden Labs war eine klassische Plattformidee bei dem so gut wie alles, sogar die Währung, der Lindendollar, von einem superzentralisierten Betreiber kontrolliert wurde.
Das Metaversum ist was anderes. Eigentlich ist der Begriff auch nicht so gut, weil sich Facebook in Meta umbenannt hat und man denken könnte, das Metaversum hätte mit Facebook etwas zu tun. Hat es – weil es Facebook in seinen Urfesten bedroht.
Gemeint ist mit dem Metaverse meistens die Verschmelzung von Wahrnehmungs- und Handlungsschichten zwischen realer und digitaler Sphäre. Bedeutet: Alles ist überall und immer möglich. Egal aus welcher Perspektive betrachtet: Möglichkeiten steigern sich damit ins Unermessliche, weil diskriminierende Faktoren wie Zeit und Raum egalisiert werden – damit dann auch die Fantasie, wie daraus Profit zu schlagen ist. Viele Möglichkeiten müssten über kurz oder lang auch zu viel Wertschöpfung führen. Irgendwie.
Das Gute daran: Blockchain-basierte Technologie verhindert schlichtes Kopieren und Vervielfältigen von Intellectual Property – genau das hat das Internet erst groß gemacht. Im Gegenteil: Verkettungen von Aktionen und Transaktionen, auch der Besitz von digitalisierten Items kann eineindeutig be- und nachgewiesen werden. Auf Deutsch: Es ist unverrückbar klar, was wem gehört und wer wann was damit gemacht hat. Der Traum vieler Künstler:innen wird wahr, gleichzeitig der Alptraum großer Aggregationsplattformen. Das ist der Grund, warum viele Anwendungen im Metaverse etwas mit schaffender oder auch bildender Kunst zu tun haben und warum allein durch die Entwicklung dieser Strukturen schon mal zu hoffen ist, dass Kunde und Wissenschaft einen riesigen Schub bekommen werden. Vielleicht werden die Transformationen dieser Zeit deswegen dennoch bewältigt, weil es sich für Wissenschaftler:innen wieder lohnen wird, Wissen zu schaffen.
Strenggenommen aber hat lediglich eine evolutionäre Entwicklung vielleicht einen Scheidepunkt erreicht. Die Evolution des Web – nicht die Revolution. Das gute alte Ur-Internet Web 1.0 war nichts anderes als eine Aneinanderreihung digitaler Schautafeln, genannt Websites, die durch Eingabe der Adresse oder Verlinkung auffindbar waren. Großer Vorteil: Einfach zu aktualisieren, von überall verfügbar und das auch noch zu jeder Zeit.
Mit Verbesserung der Bandbreite kam der Rückkanal hinzu. Es entstand das, was wir heute Web 2.0 nennen. Der Rückkanal gibt dem Angebot die Informationen, die es braucht, vermeintlich relevanter zu werden. Die Zeit, die Menschen im Web verbringen steigert sich, es gibt mehr zu erleben, es bilden sich Plattformen und Cloudstrukturen aus, die immer mehr, immer besser wissen und das Angebot genauer zuschneiden können. Die Welt, in der wir zurzeit im Web meistens leben: Wir füttern sie mit unserem Feedback. Die Plattformen versuchen dann verzweifelt durch simple Syndizierungen von Informationen neue Informationen daraus zu generieren, die idealerweise irgendwem, der nutzenden Person oder Dritten, einen Mehrwert versprechen – Zauberbegriff dafür: Künstliche Intelligenz. Da das Rezeptionsvermögen der meisten User sich angesichts der daraus resultierenden Informationsüberflutung bereits erfolgreich rückgebildet hatte und vor kurzem die Aufmerksamkeitsspanne eines durchschnittlichen Siebtklässlers von der eines Goldfischs überholt wurde, hat das System sich selber wunderbar beschleunigt: Immer mehr Informationen, Daten und Angebote, die ihrerseits immer neue Nachfrage erzeugt haben auf immer mächtigeren, immer zentraleren Plattformen, die ihre Skaleneffekte erfolgreich einsetzen und zu den größten und reichsten Unternehmen der Welt aufgestiegen sind, ohne jemals auch nur einen Gegenstand wirklich zu erschaffen. Einkaufen, Entertainment, Bildung, Soziales Netzwerken – alles kann geschlossen über eine Plattform genutzt werden.
Diese Entwicklung hält mit dem sog. Metaversum erstmal weiter stetig an, denn die Wahrnehmungsebene des virtuellen Raumes bekommt nun zusätzliche Dimensionen – augmentierte Realität und in die Digitalität verschobener Raum, sog. virtueller Raum. Mehr Bandbreite, auch mobil, bessere Devices mit besseren Screens und mehr Ausdauer, mehr Inhalte. Explosion der Möglichkeiten. Es entsteht das, was wir lieber Web 3.0 nennen wollen als Metaverse.
Aber: In dem kann vieles anders kommen als eigentlich gedacht. Überraschung! Denn hier kommt ein menschliches Dilemma zum Tragen: Wir sind unfassbar schlecht darin in unserer linearen Art uns nicht-lineare Zukunftsentwicklungen vorzustellen. Wir stellen uns damit auch die Möglichkeiten des Web 3.0 (kurz Web3) als lineare Evolution vor.