B21F6BB4-1C5E-4341-9402-72115F03EA26 05. August 2022

Per Anhalter ins Metaverse - Wie Nutzer:innen das Web 3.0 zurückerobern

Weil Mark Zuckerberg seinen Konzern in Meta umbenannt hat, könnte man meinen, das Metaversum hätte etwas mit Facebook zu tun. Hat es auch: Weil es Facebook in seinen Urfesten bedroht. Wie die Nutzer:innen sich das Web 3.0 zurückerobern – und was Marketer Metaverse-fit macht.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin „sales“, Ausgabe 1/2022, der Bonsai GmbH,  
Autor: Christian von den Brincken, Ströer Core

Per Anhalter durch das Metaversum

Zwischen geglaubtem Ende der Corona-Pandemie und nicht geglaubter Aggression Russlands gegen die Ukraine war das Thema kurz in aller Munde: Das Metaverse. Es wird zu gegebener Zeit wieder eine Renaissance erleben.

Das Wichtigste vorweg: Es hat wirklich nichts mit Second Life zu tun. Wenn Sie denken, dass wir das doch schonmal vor einigen Jahren hatten, lesen Sie diesen Artikel. Second Life von Linden Labs war eine klassische Plattformidee bei dem so gut wie alles, sogar die Währung, der Lindendollar, von einem superzentralisierten Betreiber kontrolliert wurde.

Das Metaversum ist was anderes. Eigentlich ist der Begriff auch nicht so gut, weil sich Facebook in Meta umbenannt hat und man denken könnte, das Metaversum hätte mit Facebook etwas zu tun. Hat es – weil es Facebook in seinen Urfesten bedroht.
 

Aber der Reihe nach…

Gemeint ist mit dem Metaverse meistens die Verschmelzung von Wahrnehmungs- und Handlungsschichten zwischen realer und digitaler Sphäre. Bedeutet: Alles ist überall und immer möglich. Egal aus welcher Perspektive betrachtet: Möglichkeiten steigern sich damit ins Unermessliche, weil diskriminierende Faktoren wie Zeit und Raum egalisiert werden – damit dann auch die Fantasie, wie daraus Profit zu schlagen ist. Viele Möglichkeiten müssten über kurz oder lang auch zu viel Wertschöpfung führen. Irgendwie.

Das Gute daran: Blockchain-basierte Technologie verhindert schlichtes Kopieren und Vervielfältigen von Intellectual Property – genau das hat das Internet erst groß gemacht. Im Gegenteil: Verkettungen von Aktionen und Transaktionen, auch der Besitz von digitalisierten Items kann eineindeutig be- und nachgewiesen werden. Auf Deutsch: Es ist unverrückbar klar, was wem gehört und wer wann was damit gemacht hat. Der Traum vieler Künstler:innen wird wahr, gleichzeitig der Alptraum großer Aggregationsplattformen. Das ist der Grund, warum viele Anwendungen im Metaverse etwas mit schaffender oder auch bildender Kunst zu tun haben und warum allein durch die Entwicklung dieser Strukturen schon mal zu hoffen ist, dass Kunde und Wissenschaft einen riesigen Schub bekommen werden. Vielleicht werden die Transformationen dieser Zeit deswegen dennoch bewältigt, weil es sich für Wissenschaftler:innen wieder lohnen wird, Wissen zu schaffen.

Merke: Der User erobert das Web wieder zurück!

Strenggenommen aber hat lediglich eine evolutionäre Entwicklung vielleicht einen Scheidepunkt erreicht. Die Evolution des Web – nicht die Revolution. Das gute alte Ur-Internet Web 1.0 war nichts anderes als eine Aneinanderreihung digitaler Schautafeln, genannt Websites, die durch Eingabe der Adresse oder Verlinkung auffindbar waren. Großer Vorteil: Einfach zu aktualisieren, von überall verfügbar und das auch noch zu jeder Zeit.

Mit Verbesserung der Bandbreite kam der Rückkanal hinzu. Es entstand das, was wir heute Web 2.0 nennen. Der Rückkanal gibt dem Angebot die Informationen, die es braucht, vermeintlich relevanter zu werden. Die Zeit, die Menschen im Web verbringen steigert sich, es gibt mehr zu erleben, es bilden sich Plattformen und Cloudstrukturen aus, die immer mehr, immer besser wissen und das Angebot genauer zuschneiden können. Die Welt, in der wir zurzeit im Web meistens leben: Wir füttern sie mit unserem Feedback. Die Plattformen versuchen dann verzweifelt durch simple Syndizierungen von Informationen neue Informationen daraus zu generieren, die idealerweise irgendwem, der nutzenden Person oder Dritten, einen Mehrwert versprechen – Zauberbegriff dafür: Künstliche Intelligenz. Da das Rezeptionsvermögen der meisten User sich angesichts der daraus resultierenden Informationsüberflutung bereits erfolgreich rückgebildet hatte und vor kurzem die Aufmerksamkeitsspanne eines durchschnittlichen Siebtklässlers von der eines Goldfischs überholt wurde, hat das System sich selber wunderbar beschleunigt: Immer mehr Informationen, Daten und Angebote, die ihrerseits immer neue Nachfrage erzeugt haben auf immer mächtigeren, immer zentraleren Plattformen, die ihre Skaleneffekte erfolgreich einsetzen und zu den größten und reichsten Unternehmen der Welt aufgestiegen sind, ohne jemals auch nur einen Gegenstand wirklich zu erschaffen. Einkaufen, Entertainment, Bildung, Soziales Netzwerken – alles kann geschlossen über eine Plattform genutzt werden.

Auf der Suche nach Metaverse-Lösungen für Brands?

Diese Entwicklung hält mit dem sog. Metaversum erstmal weiter stetig an, denn die Wahrnehmungsebene des virtuellen Raumes bekommt nun zusätzliche Dimensionen – augmentierte Realität und in die Digitalität verschobener Raum, sog. virtueller Raum. Mehr Bandbreite, auch mobil, bessere Devices mit besseren Screens und mehr Ausdauer, mehr Inhalte. Explosion der Möglichkeiten. Es entsteht das, was wir lieber Web 3.0 nennen wollen als Metaverse.

Aber: In dem kann vieles anders kommen als eigentlich gedacht. Überraschung! Denn hier kommt ein menschliches Dilemma zum Tragen: Wir sind unfassbar schlecht darin in unserer linearen Art uns nicht-lineare Zukunftsentwicklungen vorzustellen. Wir stellen uns damit auch die Möglichkeiten des Web 3.0 (kurz Web3) als lineare Evolution vor.

 

Wer sagt, dass Evolution etwas Lineares haben muss? Verwirrt?
Drei Ratschläge, die aufeinander aufbauen.

  1. Zuerst ist das Web3 als Erlebnis abstrakt. Bin ich im Web3, wenn ich die Oculus meines Sohnes aufsetze? Oder eine AR-App auf dem Handy installiert habe? Oder mit dem Browser mal in Roblox oder Sandbox oder Decentraland gewesen bin und mir dort verloren vorkam? Nein. Der Erlebnisschlüssel ist die Interoperabilität, also das Zusammenspiel aller operativen Schichten, die zu einem Erlebnis (Experience!) verschmelzen. Wer Experiences im Web3 anbieten kann, darf im Web3 Peloton mitfahren.

    Empfehlung 1: Machen Sie selbst Erfahrungen, designen Sie Erfahrungen für andere im Web3. Damit machen Sie schonmal garantiert nichts falsch.

     
  2. Dann ist das Web3 ortlos und natürlich auch zeitlos, man würde sagen, es fließt permanent um uns herum. Wir sind nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort – sich darauf einzulassen hat fast etwas Selbsttherapeutisches. Wer noch weiß, was der WAP Service gewesen ist wird akzeptieren müssen, nie zu verstehen, wieso sich der Pennäler stundenlang in Minecraft, Roblox oder Epic’s Metaversen aufhalten kann.

    Empfehlung 2: Am besten kommen Sie damit klar, wenn Sie einfach versuchen, Ihre analogen Errungenschaften ins Web3 zu kopieren. Kaufen Sie Land, bauen Sie ein Haus (teurer als Sie vielleicht denken), vermieten Sie ihre Fassade für Außenwerbung. Machen Sie dort einen Dönerstand auf, eine Unternehmensberatung, eine Kanzlei oder eine Fabrik. Daran werden Sie letztlich scheitern. Aber am Punkt des Scheiterns haben Sie schon viel verstanden, bevor andere auch nur angefangen haben, sich damit zu beschäftigen.

     
  3. Es gibt keine Web3-Plattform, sondern ganz viele mit großen Unterschieden. Es wird auch nicht ein Gewinner daraus hervorgehen. Und es wird nicht einen Aggregator geben. Genauso wenig ein Device, selbst wenn neue Devices wie die neuen Apple Glasses, die in Kürze herauskommen werden, sicher ein Beschleuniger sein werden.

    Empfehlung 3: Machen statt machen lassen. Im Web3 müssen Sie aus Ihrer zurückgelehnten Konsumhaltung in die aufrechte Haltung wechseln. „Lean back“ wird zu „lean forward“. Sie müssen lernen, Werkzeuge zu bedienen, zu machen, zu handeln. Dann, vielleicht, verbunden mit den anderen Vorzügen, nehmen wir auch das Heft des Handelns nicht nur für uns, sondern für unsere Welt wieder in die Hand und bewältigen die anstehenden Transformationen, die wir heute für übermächtig halten, doch noch. Digitale Transformation, Nachhaltigkeitstransformation, möglicherweise gar die Transformation unserer Regierungssysteme.

Sie glauben, dass Sie das nicht tangieren wird? "Das Internet, das geht auch wieder vorüber" sagte ein großer Werber vor einigen Jahren. Wir wissen, wie recht er damit hatte.