25. Oktober 2021
Jeden Tag stehen wir Menschen vor unterschiedlichsten Herausforderungen des Alltags: Stress, Ungewissheit, Veränderungen, (persönliche) Krisen, Krankheiten, Schicksals- oder Rückschläge, (Umwelt-)Katastrophen oder Verletzungen gehören beispielhaft dazu. Im gesellschaftlichen Kontext sind viele dieser kaum vermeidbar. Denn immer dann, wenn wir Menschen in einer freiheitlichen Gesellschaft aufeinandertreffen, gehen wir gleichzeitig das Risiko ein, möglicherweise auch verletzt zu werden. Resilienz bemächtigt uns damit umzugehen, denn sie rechnet damit, dass genau das passiert. In den Ingenieurswissenschaften ist Resilienz eine feste Größe und beschreibt die Fähigkeit eines Körpers oder von Materialien (Stoffen) nach einer Veränderung (Belastung oder Störung) wieder in die ursprüngliche Form „zurückzuspringen“. Psychologen sprechen bei Resilienz, von einem „Immunsystem der Psyche oder Seele“, einer psychischen Widerstandsfähigkeit und -kraft, die uns hilft, mit schwierigen Lebenssituationen umzugehen.
Besonders in der Corona-Pandemie wird unsere eigene Resilienz stark auf den Prüfstand gestellt. Denn wir haben keine eigenen Erfahrungswerte, an denen man sich orientieren kann. Vieles muss man mit sich selbst aushandeln. Gleichzeitig kämpfen wir als Gesellschaft mit den Anpassungs-schwierigkeiten an eine neue Alltagswirklichkeit. Besonders während des Prozesses der Anpassung reflektieren wir kaum, wir reagieren ausschließlich und versuchen im ersten Schritt mit der neuen Situation zurecht zu kommen – ohne das eigene Handeln zu hinterfragen.
Resilienz beschreibt die Fähigkeit diesen (unerwarteten) Belastungen standzuhalten. Es geht also nicht darum, sich abzuschirmen – denn diese Belastungen lassen sich nicht verhindern –, sondern der Frage nachzugehen, wie wir darauf reagieren und wie wir uns und mit welchen Ressourcen herausfordernden Situationen stellen. Das führt dazu, dass man sich zugleich mit den eigenen Ängsten und Schwächen auseinandersetzen muss, die zeigen, wie verwundbar man ist. Und das tut jeder von uns auf andere Art und Weise. Während die einen Schwierigkeiten haben, angemessen damit umzugehen, kann anderen die Krise wenig anhaben. Andere gehen ferner gestärkt aus einer Krise hervor. Sie stellen sich auch (teilweise) neuen Herausforderungen und suchen aktiv nach Lösungen. Menschen mit einer hohen Resilienz werden beständig als zuversichtlich, zielorientiert, intelligent und selbstreflektiert beschrieben. Und auch wie unser Immunsystem können wir unsere Resilienz stärken, sogar durch Faktoren wie Erfahrungen, positive Grundeinstellung und Gelassenheit trainieren. Es geht nicht darum Dinge naiv zu betrachten oder Gefahren zu unterschätzen, sondern Situationen zu akzeptieren, die nicht zu ändern sind und gleichzeitig für Gutes dankbar zu sein sowie positiven Aspekten eine größere Rolle zukommen lassen oder an einen positiven Abschluss zu glauben.
Resilienz-Konzepte lassen sich nicht nur auf den Menschen, sondern ebenso auf ganze (Öko-)Systeme übertragen – Infrastruktur, Bildung, Energie, Pflege oder auch Städte. Dieses Stabilitätskonzept hilft dabei das Verhalten gegen Störereignisse zu analysieren und Strategien zu entwickeln, die besser gegen Risiken schützen. Resilienz war schon immer ein Standortfaktor für Städte, nur hat die aktuelle Krisensituation dazu geführt, dass die Städte sich aktiver damit auseinandersetzen und öffentlich in der Debatte stehen. Doch Resilienz ist komplex und lässt sich nicht auf eine Eigenschaft festlegen, je nach Krisensituation (Störereignis), Selbstbild der Stadt und Bürger-Stadt-Beziehung entfaltet sie unterschiedliche Relevanz. Zudem ist der differenzierte und kleinteilige Blick auf eine Stadt empfehlenswert: Mitunter weisen unterschiedliche Stadtteile innerhalb einer Stadt aufgrund sozialer Strukturen unterschiedliche Resilienz-Werte auf.
Robustheit und besonders robuste Systeme spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die Fähigkeit einer Stadt Störereignisse zu absorbieren und negative Nachwirkungen zu begrenzen setzt starke Strukturen voraus. Damit sind nicht ausschließlich funktionale und bauliche Strukturen gemeint, sondern auch institutionelle und sozioökonomische. Grundsätzlich können sich Unsicherheiten, Risiken und Herausforderungen gegenseitig bedingen, verstärken und sie sind unterschiedlichster Natur: Fortschreitender Ressourcenverbrauch, Klimawandel, Globalisierung, demographischer Wandel, soziale Fragmentierung sowie Naturkatastrophen, finanzielle Krisen oder Infrastruktur-Ausfälle. Meist sind auch ihre Wechselwirkungen nicht bekannt, ihre Abhängigkeit oder Domino-Effekte machen sie höchst komplex. Viele Städte sind beispielsweise besonders durch langfristige Veränderungen der Niederschlagsmuster und -mengen bedroht und leider auch durch vergangene Hochwasserkatastrophen geprägt. Hinzu kommen teilweise neuartige Gefahren des digitalen Zeitalters, wie Cyber- und Hacker-Attacken, die in unsere untereinander vernetzten Kommunikationsnetze eindringen und vernichtend wirken können. So müssen Städte über entsprechende Kapazitäten und organisatorische und technologische Resilienz-Strategien verfügen, um unmittelbar innerhalb weniger Minuten darauf reagieren zu können. Entsprechende Strategien sind noch nicht oder kaum entwickelt und erprobt.
Eine gute Resilienz bedeutet mit einer klugen Vorausschau zu sagen, welche Szenarien sich entwickeln können und wie man sich darauf vorbereiten kann. Jegliche Resilienz-Strategien können nur greifen, wenn eine Gesellschaft und ihre Stadtbewohner auf mögliche Störereignisse vorbereitet werden. Das heißt Maßnahmen einzuleiten, die potenziell zukünftige Gefährdungen in der Gegenwart bereits vor Eintritt vorbeugen – besonders dann, wenn Maßnahmen längerfristig wirken. Zur Vorbereitung zählt aber auch, das allgemeine Bewusstsein der Bürger dahin gehend zu schärfen, dass jederzeit Katastrophen eintreten können und es gleichzeitig keinen hundertprozentigen Schutz geben kann, sie zu verhindern. Die gleichzeitig große Herausforderung dabei ist, neben einer realistischen Einschätzung des Szenarios, die vermittelt werden muss, keinen übertriebenen Stress oder sogar Angst in der Bevölkerung zu schaffen. Viele Bürger äußern den Wunsch bei diesem Prozess und einzelnen Schritten nicht nur mehr beteiligt zu werden (Quantität), sondern auch intensiv mitzugestalten und kritisch hinterfragen zu dürfen.
Bund, Länder und Städte sind stetig auf der Suche nach präventiven sowie adaptiven Lösungs- und Präventionsmaßnahmen (Möglichkeiten und Mittel), die idealerweise sowohl regional als auch kommunal bestmöglich aufeinander abgestimmt sind (Vernetzung). Und auch, wenn sie gleichzeitig von politischen Vorgaben und von mehreren Ebenen des Systems beeinflusst werden, ist es unabdingbar, diese im Wesentlichen lokal voranzutreiben. Auch wenn Versuche einer Resilienzbildung aufgrund verschiedener kultureller Kontexte unterschiedlich geprägt werden können.
Dabei spielt auch Vulnerabilität, die Anfälligkeit und Verwundbarkeit gegenüber Gefahren, eine wichtige Rolle. Die Vulnerabilitäten von Städten werden meist bei Resilienz-Konzepten als objektiv gegebene Ausgangspunkte betrachtet. Vulnerabilität muss vollständig – mit Hilfe von statischen Methoden, zum Beispiel Wahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von der Intensität – erfasst und bewertet werden. Es gilt Maßnahmen zu definieren, die die Vulnerabilität von Städten verringern und zugleich die Resilienz gegenüber Gefahren erhöhen. Dazu gehört, neben einem vollumfänglichen Verständnis der Prozesse, auch eine bzw. seine Stadt selbst kritisch zu reflektieren und Lernprozesse zu etablieren. Sicher müssen dafür Strukturen neu bewertet werden und bisherige Leitbilder über Bord geworfen werden. Das macht echte Innovationsfähigkeit aus. Treiber ist auch die Digitalisierung, die mit Resilienz eng verbunden ist. Das hat sich besonders während der Corona-Pandemie gezeigt: Wer die digitale Transformation maßgeblich mitangetrieben hat, konnte einen beachtlichen Wettbewerbs-vorteil genießen. Eine digitale Infrastruktur ist wesentlich, um eine Datenbasis zu gewinnen und mit diesen Erkenntnissen fundierter agieren zu können. Digitales Monitoring, aber auch ein flächen-deckendes Sensorik-Netz innerhalb einer Stadt sind wegweisend für den Umgang mit den Klimafolgen, beispielweise in der Wasserversorgung oder bei der Begrünung von Dächern.
Neben den oben genannten Faktoren gibt es mit Redundanz und Vielfalt zwei weitere, die die Resilienz einer Stadt erhöhen. Sind ähnliche Elemente, die die ein und dieselbe Funktion erfüllen (z.B. öffentliche Verkehrsmittel), mehrfach im System Stadt vorhanden, haben sie die Möglichkeit einen Wegfall zu kompensieren oder die Grundfunktion (Beförderung der Bürger) zu übernehmen. Allgemein betrachtet kann das Hinzufügen oder der Austausch von nahezu gleichen Teilelementen eine ganze Systemfunktion aufrechterhalten. Auch eine Vielfalt ist von größerer Bedeutung. Die Existenz verschiedener Branchen innerhalb einer Stadtökonomie kann etwa dafür sorgen, dass der Schaden für eine Stadt durch den Ausfall eines Geschäftszweiges eher gering bleibt. Vielfalt ist auch bei Informations- und Kommunikationsmedien, insbesondere Social Media, hilfreich und wertvoll.
Eine Krise führt dazu, dass sich ein System wie eine Stadt nachhaltig verändert und verändern muss. Resilienz wird auch als eine neue Nachhaltigkeit bezeichnet. Womöglich liegt die Anpassungsfähigkeit darin, nach dem (unerwarteten) Störereignis nicht zum Ausgangspunkt zurückzukehren, sondern diesen Zustand trotz aller Einschnitte als eine viel größere Chance zu sehen („Bounce forword“). Als eine Möglichkeit, sich neu aufzustellen, in eine neue Balance zu kommen und neue Funktionalitäten zu entwickeln, um letztlich sich erkennbar besser zu positionieren und auszurichten. Eine Krise zwingt uns immer, unser Handeln zu überdenken. So werden unsere Systeme leistungsfähiger und langlebiger, um sich unter anderem den veränderten und zunehmenden Umweltbedingungen und -risiken kontinuierlich anzupassen. (Quelle: Fraunhofer Institut). Für das Überwinden des Status Quo benötigt man Flexibilität, Agilität und Lernfähigkeit – von Politik, Verwaltung und Bürgern. Denn Gefährdungen und Störereignisse können nicht durch einen Akteur allein eingeschätzt und vorgebeugt werden, sondern nur in Kooperation – mit der richtigen Einstellung und dem Mit zur Veränderung, die Stadt nicht aufzugeben und trotz schwieriger Rahmenbedingen weiterzuentwickeln.