B21F6BB4-1C5E-4341-9402-72115F03EA26 12. September 2023

Virtual Influencer - Faszination zwischen Fiktion und realer Welt

Sie sehen täuschend echt aus. Auf diversen Social-Media-Kanälen nehmen sie uns mit in ihren Alltag. Und sie sind erfolgreich – ob als Model, Musiker:in oder Werbegesicht. Doch im echten Leben werden wir diesen Charakteren allenfalls als digitalen Versionen mit Hilfe von Hologrammen begegnen können, denn: Sie sind nicht real. Die Rede ist von Virtual Influencern – eine für das Social-Media-Marketing frei erfundene und vollständig programmierte digitale Persönlichkeit. Sind Virtual Influencer nur ein Hype oder sogar die Zukunft des Influencer Marketings? In unserer Trendstudie Crossroads Evolution haben wir uns den Mikrotrend genauer angeschaut und das Potenzial für den deutschen Medien- und Kommunikationsmarkt bewertet.

 

 

Was sind Virtuelle Influencer:innen?

Virtual Influencer gehen als gewöhnliche (junge) Menschen durchs Leben: Sie haben ihre eigenen Interessen und Hobbies, leben ein komplett „normales“ Leben auf Social Media und teilen ihren Alltag wie reale Influencer:innen mit Millionen von Follower:innen über mehrere Kanäle gleichzeitig. Auf den ersten Blick fällt meist nicht auf, dass sie gar keine echten Menschen sind. Sind sie nicht bewusst durch ihre Schöpfer:innen comicartig oder Manga-ähnlich kreiert worden, sehen sie uns Menschen – in ihrer Optik, Persönlichkeit und in ihren Verhaltensweisen – täuschend ähnlich, weil sie natürliche menschliche Züge aufweisen.

Dem Superstar unter den Virtual Influencern folgen 2,7 Millionen Menschen auf Instagram

Der erste Virtual Influencer ist bereits 2016 durch ein Start-Up in Los Angeles entstanden und bis heute sehr erfolgreich. Miquela Sousa, halb Brasilianerin, halb Spanierin und bekannt für ihre Sommersprossen, buschigen Augenbrauen und Zöpfe begeistert seither mit ihren nahezu perfekten Postings eine Millionen-Community auf Instagram. Als für immer 19-Jährige junge Frau probiert sie gern Neues aus, ist energiegeladen und gern mit Freund:innen unterwegs – zu denen auch reale Menschen zählen. Neben der Modebranche, in der sie bereits mit Luxusmarken wie Prada, Chanel oder Gucci und prominenten Gesichtern (z. B. Bella Hadid) kooperiert hat, ist sie nebenbei auch in der Musikbranche als Sängerin erfolgreich. Obendrein setzt sie sich für soziale Projekte ein und spricht in ihren Posts Probleme an oder macht sich für gesellschaftliche und politische Themen stark, beispielsweise gegen Rassismus oder fordert zum Spenden für gemeinnützige Organisationen auf.

BMW iX2 × lil Miquela

Virtual Influencer made in Germany!

Noonoouri ist ebenso 19 Jahre jung, ihr Markenzeichen: Ihre mangahaften großen Augen und ihre puppenhafte Figur. Ihre ersten 70k Follower:innen auf Instagram schaffte sie in nur drei Monaten nach ihrem Entstehen im Februar 2018, aktuell folgen ihr auf ihrem Kanal 405k Menschen (September 2023). Ihren Zugewinn an Follower:innen in diesem Monat (Sep 23) hat sie sicher auch ihrer Debüt-Single „Dominoes“ zu verdanken – mit Musikriese Warner Music & DJ und Musikproduzent Alle Farben.

Debütsingle noonoouri & Alle Farben – Dominoes

Auch, wenn auf den ersten Blick direkt ersichtlich ist, dass es sich um eine animierte „Kunstfigur“ handelt, ist sie ebenso in der Modewelt fest verankert: Sie ziert Cover von bekannten Modezeitschriften und läuft auf den großen Fashionshows. Wenn sie nicht für Mode unterwegs ist, erhebt sie ihre Stimme für Kinder, Tiere und Natur. Sie lebt vegan in Paris, trägt keine Pelze und setzt sich für nachhaltige Mode ein. Ihr Schöpfer Joerg Zuber aus München sagt über sie: „Es war mir wichtig, dass Noonoouri eine Botschaft hat. Durch sie habe ich eine Plattform, um etwas zu bewegen. Sie ist Vorbild und Fantasie. Die Leute folgen ihr, weil sie anders ist. Mit ihr kann man in eine Traumwelt eintauchen.“*

 

Virtual Influencer: Faszination zwischen Fiktion und realer Welt

Virtual Influencer sind zweifellos nicht langweilig. Sie verkörpern unterschiedliche Charaktere mit interessanten Stories und teils wichtigen Botschaften. Auch, wenn sie zu 100 % computergeneriert sind, stehen hinter jeder individuellen Persönlichkeit unzählige reale Menschen in diversen Rollen. Der Aufwand, sowohl menschlich als auch technologisch, ist enorm groß – zumindest noch. Hinter Noonoouri steht ein mehrköpfiges Team: Fotograf:innen, Designer:innen, Programmierende und Make-Up-Artist:innen. Zusätzlich sind die zum Einsatz kommenden Technologien äußerst komplex. Während manche Virtual Influencer vollständig animiert sind, werden andere als Bildkompositionen aus computergenerierten Elementen und realen Menschen in Kombination kreiert.

 

Virtual Influencer = KI? Ein weiter Weg

Können Virtual Influencer mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) schnell und kostengünstig erstellt werden? In der Praxis sind wir davon noch weit entfernt – besonders in Deutschland. Für einen eigenen vollständigen Charakter kreieren Schöpfer:innen – von Entwickler:innen, Kreativagenturen bis Video-Studios – im Vorfeld Soft Skills, Talente, Stories und Themen, die einem Virtual Influencer am Herzen liegen. Jedes einzelne Posting wird mit langem Vorlauf gut geplant: Es werden Risiken abgewogen, die Kommunikation sowie Reaktion auf die Community wird intensiv vorbereitet. Natürlich im Rahmen der Persönlichkeit des Virtual Influencers. Denn: Alles rund um den Charakter muss glaubwürdig und authentisch sein! Authentizität ist das wichtige, zentrale Element eines jeden Influencers und einer jeden Influencerin!

Zusätzlich müssen für die Bewegungen eines Virtual Influencer immer noch reale Menschen sogenannte Motion-Capture-Anzüge anlegen, die die Bewegungen aufzeichnen und dann per 3D Modell auf den virtuellen Charakter übertragen. Hinzu kommen diverse Formate für unterschiedliche Social-Media-Kanäle und ihre Anforderungen, z. B. verschiedene Auflösungen für eine optimale Darstellung auf unterschiedlichen Endgeräten. So kommt es, dass beispielsweise für Noonoouri ein Team von 18 Mitarbeitenden im Einsatz ist und das Team für die Erstellung eines einzigen analogen Bildes drei bis vier Tage benötigt. Eine Animation kann bis zu zwei Wochen dauern. Ist der Hintergrund zudem dynamisch können bis zu acht Wochen vergehen.** Hier werden Planungsaufwand und Vorlaufzeiten deutlich. Im gleichen Zug verteidigen ihre Schöpfer:innen diesen hohen Aufwand mit endloser Kreativität. Denn dieser sind keine Grenzen gesetzt: Es gibt mehr Möglichkeiten als jemals mit realen Influencer:innen.

Zu Marketingzwecken geschaffen – Kritik von vielen Seiten

Jederzeit verfügbar, steuer- und kontrollierbar sowie risikoärmer und kostengünstiger als menschliche Influencer:innen. Das machen Virtual Influencer so spannend für die Social-Media-Welt. Auch, wenn sie noch (!) hohe Investitionskosten mit sich bringen, können sie durchaus sehr lukrativ sein: Zum einen, weil sie keine physischen Produkte oder Dienstleistungen benötigen – Extrawünsche und Starallüren gibt es nicht. Zum anderen, weil sie mit Werbekampagnen und bezahlten Kooperationen auf Instagram mit um die 7.000 EUR je Post die Kasse ihrer Schöpfer:innen wieder gut füllen.***

Doch ist es für, insbesondere jüngere, Instagram-Nutzer:innen wichtig zu wissen, dass es sich um künstlich geschaffene Persönlichkeiten handelt? Die meisten sagen eindeutig Ja! Denn nicht alle Menschen können sich davon distanzieren und die Realität von Fiktion unterscheiden. So können Nutzer:innen mit Normen konfrontiert werden, die realitätsfern sind und zu Unsicherheiten und Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühles führen können. Obligatorische Kennzeichnungspflichten gibt es bisher nicht. Demnach ist es den Schöpfer:innen selbst überlassen ihren Virtual Influencer als diesen zu kennzeichnen oder eben nicht.

Es bleibt also abzuwarten, welche rechtlichen Grundlagen sich manifestieren werden und wie lange das hierzulande dauern könnte. Andere Länder gehen mit gutem Beispiel voran. Indien beispielsweise hat bereits im Juli 2021 in sogenannten „Advertising Standards“ vorgeschrieben, dass entsprechende Kanäle als fiktiver Charakter der Figur deutlich gemacht werden müssen. Frankreich und Norwegen sind noch etwas strenger: Sogar bei realen Influencer:innen müssen bereits bearbeitete Posts für Werbekampagnen als retuschiert gekennzeichnet werden. Erlaubt sind dann nur noch ganzheitliche Bildbearbeitungen wie Aufhellung, Verdunklung oder Schärfung. So soll nun auch per Gesetz gegen Körperdruck vorgegangen und unrealistische Schönheitsstandards aufgedeckt werden.

 

Ein vielversprechender Markt, um das Influencer Marketing auf ein neues Level zu heben

Weltweit betrachtet ist der Markt der Virtual Influencer aussichtsvoll. Global wird laut emarketer.com von einer Marktgröße von 4,6 Mrd. Dollar ausgegangen. Ende 2021 gab es weltweit 150 Virtual Influencer. Gewiss sind einige zum jetzigen Zeitpunkt bereits verschwunden, wiederum andere neu dazugekommen.

In Ländern wie China, Brasilien oder USA erfreuen sich Virtual Influencer hoher Beliebtheit und sind dort stark verbreitet. Allein in China wird ein Markt-Wachstum von knapp 15 Mio. EUR in 2018 bis 200 Mio. EUR in 2023 prognostiziert, was einer jährlichen Wachstumsrate von 26 % entspricht.**** In Deutschland zeichnet der Trend Virtual Influencer (bisher) einen eher kleinen Markt ab. Der deutsche Markt reagiert hier – wie bei vielen anderen technologischen Trends – eher zurückhaltend bis skeptisch. Es bleibt also spannend zu sehen, welchen digital geschaffenen Persönlichkeiten wir zukünftig begegnen werden – vielleicht sogar außerhalb der Social-Media-Welt.

Weitere spannende Insights zum Thema und konkrete Handlungsempfehlungen sind in unserer kostenlosen Trendstudie „Crossroads Evolution“ und unserem dazugehörigen Trend-Atlas zu finden. Hier geht’s zum Download.

Quellen:
*      https://www.deutschland.de/de/topic/kultur/wer-ist-noonoouri-fashion-avatar-erobert-die-modewelt
**     https://www.xplr-media.com/de/xplr-magazin/noonoouri-virtuelle-influencerin-und-botschafterin-im-metaverse.html
***    https://www.basicthinking.de/blog/2020/08/23/robot-influencer-einkommen
****  https://www.kolsquare.com/de/blog/virtuelle-influencer-eine-modeerscheinung-oder-die-nahe-zukunft-des-influencer-marketings