B21F6BB4-1C5E-4341-9402-72115F03EA26 12. Januar 2023

RETRO Special Teil 4: Nostalgie wird zur Marketingstrategie und ist wichtiger Wirtschaftsfaktor

Retro-Trends und Nostalgie-Marketing sind in der heutigen Produktlandschaft und Markenkommunikation allgegenwärtig. Nostalgie wird von Markenartiklern und -herstellern gern instrumentalisiert. Denn diese haben begriffen und nutzen es zu ihren Gunsten aus, dass Kund:innen gerne in Erinnerungen schwelgen. Auch wenn wir gewisse kulturelle und gesellschaftliche Bewegungen nicht durchlebt haben, bedeutet das nicht, dass diese nicht trotzdem nostalgische Gefühle hervorrufen können. Jede:r von uns holt sich gern einen Teil seiner/ihrer Vergangenheit zurück – unabhängig davon, ob er/sie sie persönlich (mit)erlebt hat oder nicht. Ein Bedürfnis, das sich bestens vermarkten lässt. Gut umgesetzt weckt Retro-Werbung starke Gefühle in uns, die sich positiv auf Produkte auswirken und damit den Konsum anregen. Nostalgie ist der Weg zu den Emotionen der Konsument:innen und hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt. Ob unbewusst oder bewusst werden alte (oder auf alt gemachte) Produkte plötzlich zum Trend. Oder zum Gegentrend zu einem immer schnelleren, komplexeren und digitalisierten Leben?

Durchaus feiern viele Marken und Produkte im heutigen Jetzt ein Comeback und sind in unserem Alltag (wieder) präsent. Das erneute Aufleben eines Produktes oder einer Marke ist nicht immer gleich ein Umsatzgarant. Dennoch ist Nostalgie ein mächtiges Instrument, mit dem verschiedene Generationen gleichzeitig erreicht werden können: Ob die jüngere Generation, die das Gefühl hat, dass früher vieles besser und leichter war, auch wenn sie diese Zeit nicht selbst erlebt hat und dieses Empfinden nur aus Erzählungen zu wissen glaubt. Oder die ältere Generation, die dieses Gefühl nachvollziehen kann, da sie die Zeit persönlich erlebt hat und diese Erinnerungen in sich trägt. Erinnerungen und Nostalgie erfahren besonders heute, in einer alternden Gesellschaft, mehr Relevanz – trotz einer großen Menge, die sich für den „Fortschritt“ begeistern kann. An vielen Produkten und Marken der Vergangenheit haftet der „gute Ruf“ hochwertig und vor allem authentisch zu sein. Gerne lassen wir uns (mindestens) von diesen inspirieren.

Es gibt Beispiele, die zeigen, dass Retromarketing gut funktioniert (hat), umgekehrt gibt es auch allerhand Flops. Wir blicken in die Markenwelt und zeigen Chancen und Risiken des Retro-Trends auf.

Chance #1: Wir konsumieren am liebsten das, was zu unserer Kindheit und Jugend gehörte

Unsere Vorlieben für gewisse Produkte und Marken bilden sich bereits in unserer Jugend aus und bleiben meist ein Leben lang. Viele kaufkräftige Kund:innen, die heute zwischen 30 und 50 Jahre alt sind, haben viele Produkte und Slogans in ihrer Jugend kennengelernt. Unser Jugendalter bildet ein entsprechendes Zeitfenster, in dem wir am ehesten bereit sind, gewisse Verhaltensweisen anzunehmen und unsere Präferenzen zu bilden. Egal ob Künstler:innen, Schauspieler:innen oder Werbeanzeigen: Müssten wir jene aus unserer Jugend bewerten, würden wir ihnen auch zu einem späteren Zeitpunkt die höchste Punktzahl vergeben. Das zeigen viele durchgeführte Umfragen und Experimente. Natürlich vorausgesetzt: Wir verbinden positive Erfahrungen mit diesen Personen, Produkten oder Objekten. Dieser Aspekt ist auch in einigen Definitionen von Nostalgie wiederzufinden: "Daraus entstand eine zusätzliche Vorliebe für Objekte, die verbreitet waren als man selbst noch jünger war."

In Folge resultiert, dass wir auch heute noch gerne am liebsten das konsumieren und einkaufen, was wir bereits als Kinder oder Jugendliche getan haben. Die Passion für Altbewährtes gibt ein Teil der jugendlichen Unbeschwertheit zurück. Dabei spielt Vertrauen die entscheidende Rolle. Denn als Erwachsene haben wir das größte Vertrauen in Marken, die wir schon lange nutzen oder von unseren Eltern oder Großeltern kennen. Hinzukommt die Erkenntnis, dass im Alter die Bereitschaft für Veränderungen abnimmt. Es entsteht eine gewisse Bequemlichkeit, Vertrautes zu konsumieren, die positiv empfunden wird. Und maßgeblich für das Marketing: Als Liebhaber:in dieser Marken und Produkte sorgen wir für weitere Konsument:innen, indem wir diese für andere einkaufen oder sie weiterempfehlen. Somit ist es wichtig, dass Retro-Werbung an starke Gefühle appelliert, die sich in Loyalität gegenüber einem Unternehmen, einem Produkt oder einer Marke widerspiegeln.

Chance #2: Marken sind nostalgische Erinnerungsträger

Oft wird unterschätzt, wie wichtig der Erstkontakt einer Marke zur Kundschaft ist. Er ist entscheidend, da sich in diesem ersten Moment der Eindruck einer Marke mit allen Sinnen für immer einprägt. Der Nostalgietrend hat also einen hohen emotionalen Wiedererkennungswert. Denn Retro-Produkte verkörpern genau die Sehnsucht nach Zeiten, in denen vermeintlich vieles langsamer und ruhig von statten ging. Sie spenden Trost und lösen auf sentimentale Weise ein Gefühl von Geborgenheit aus. Nebenbei bemerkt: Heute ist es sehr kostspielig, ein positives Gefühl mit einer Marke neu zusammenzubringen.

Als Beispiel für emotionale Wiedererkennung findet man an dieser Stelle oft die Marken Pepsi und Coca-Cola: Obwohl Pepsi geschmacklich immer besser abschneidet, fragt man als Konsument:in immer nach einer „Cola“. Gab es bei Ihnen nicht auch in der Kindheit oder Jugend diese besonderen Anlässe, zu denen man eine Cola trinken durfte? Viele beschreiben diesen Moment als einen, der in vollen Zügen genossen wurde und den man als Moment des Glücks, dazugehören zu können, in Erinnerung trägt. Eine Erinnerung mit einer Marke, die für immer bleibt und ein starkes positives Gefühl in uns verankert.

Chance #3: Schöne Erinnerungen prägen unsere Konsumentscheidungen

Wir kaufen uns (gerne) positive Gefühle. Besonders dann, wenn wir uns schlecht (gestimmt) fühlen. Und umso schlechter wir uns fühlen, z.B. bei Ausgeschlossenheit oder Ablehnung, desto größer ist das Verlangen nach nostalgischen Produkten. Denn mit diesen bilden wir uns eine gedankliche Brücke zu unseren positiven Erinnerungen. Der Kauf eines Produktes, mit dem schöne Erinnerungen verbunden werden, mindert nachweislich das schlechte Gefühl. Forschungen haben längst gezeigt, dass das Schwelgen in Erinnerungen bei der Bewältigung von Stress, Ängsten und Depressionen hilft. Nostalgische Marken besitzen die Kraft, die Stimmung trauriger Probanden deutlich zu verbessern – was moderne Produkte nur bedingt bis nicht bzw. nur schwer leisten konnten. Zudem bestätigen Befragte, nostalgische Produkte häufiger zu erwerben. Sie fungieren, verbunden mit Kindheit, Jugend und Heimat, wie eine Art Anker. Ihre lange Existenz deutet auf Stabilität und Qualität hin.

Chance #4: Nostalgie steigert unsere Ausgabefreudigkeit

Dass sich mit dem Bedürfnis nach Nostalgie gut Geld verdienen lässt, wurde schnell im Marketing erkannt und wird fleißig als Instrument genutzt. In dem Zustand, in dem Nostalgie unsere Herzen wärmt, verringert sich gleichzeitig die Bedeutung von Geld für uns. Wir werden spendabler, Reichtum und Wohlstand werden unwichtiger. Wenn wir uns nostalgisch fühlen, empfinden wir das (Er)Leben bedeutsamer und erfahren es als "kostbares Gefühl". Das gezielte Hervorrufen von nostalgischen Erinnerungen führt zu Wohlbefinden und dieser kleinste Moment des Glücks lässt uns bereitwilliger ins Portemonnaie greifen.

Chance #5: Positive Erinnerungen und Gefühle sorgen für Nähe zur Marke

Der Erfolg eines "Comebacks" hängt maßgeblich auch von dem Charme einer Marke selbst und einem positiven Image ab. Ist das Produkt vertrauenswürdig, glaubhaft, sympathisch und erweckt nicht den Anschein, aus der Zeit gefallen zu sein, ist ein wichtiger Grundstein für die "Wiederbelebung" gelegt – vorausgesetzt Marken verkörpern auch heute noch einen entsprechenden Wert. Bekannte Marken und Produkte bieten Sicherheit, Beständigkeit und Orientierung – erst recht, wenn sie mit schönen Emotionen und Erinnerungen verbunden sind. Sie müssen gewiss auch heute in den gesellschaftlichen Rahmen passen. Trends spiegelten schon immer gesellschaftliche Strömungen wider. Haben Marken bereits in der Vergangenheit positive Gefühle wie Zufriedenheit, Geborgenheit, Sicherheit oder auch Glück ausgelöst, bleibt diese Verbindung bestehen. Besonders in Zeiten von Krisen ist es die Aufgabe der Marken den Menschen Schutz zu vermitteln.

Risiko #1: Vorurteile mangelnder Kreativität und neuer Ideen

Ist es verwerflich, dass Unternehmen sich unsere Emotionalität und unsere Erinnerungen zu Nutze machen? Oder ist es nicht für beide Seiten – werbungtreibende Unternehmen und Kundschaft – aussichtsvoll, wenn diese Verbindung beibehalten oder wieder hervorgeholt wird? Durchaus kann man die Entwicklung des Retro-Trends kritisch sehen. Oftmals werden Unternehmen mangelnde Kreativität und unzureichender Ideenreichtum vorgeworfen. Zudem liegt der Gedanke nah, dass gerade in Zeiten sinkender Werbeausgaben eher auf "Funktionierendes" zurückgegriffen wird als etwas "Neues" zu kreieren, von dem man nicht weiß, wie es ankommt. Doch Unternehmen haben keine Schonfrist: Wollen sie weiterhin bestehen, müssen gute Ideen her. Gleichzeitig wissen wir auch, dass gute Werbung immer schwieriger und seltener wird. Und weniger gesehen wird. Täglich überflutet eine Masse an Informationen unsere Sinne, die unsere Wünsche und Werte beeinflussen. Der Vorteil der Retro-Werbung: Sie funktioniert zumeist mit wenigen guten Bildern, ohne Worte und Erklärungen.  
Doch nicht nur in der Kommunikation stehen Unternehmen vor großen Herausforderungen. Plötzlich kommt (unkontrolliert) eine Vielzahl neuer Aspekte hinzu – ob finanziell, politisch, ökonomisch oder sozial.

Risiko #2: Tradition ist Fluch und Segen zugleich

Nostalgie ist nicht immer gleich Erfolgsgarant. Im Marketing ist sie eine Chance und vielversprechend, birgt aber ein Risiko des Scheiterns. Oftmals befindet man sich auf einem schmalen Grat zwischen Erfolg und Misserfolg. Es ist nicht allein damit getan, "Altes" zum Leben zu erwecken und Kund:innen "alten Wein in neuen Schläuchen" zu verkaufen. Viele Produkte tauchen in der Gestalt "des Alten" auf, doch hinter der Fassade erkennt man Neues: Meist modernste Technik. Das beste Beispiel: Das Auto. In den vergangenen Jahren waren viele erfolgreiche Autos Remakes – mit modernster Technologie. Die Retrodesign-Oberfläche war ein gutes Instrument, einerseits der Kundschaft ein Stück Nostalgie zu verkaufen, anderseits eine Alternative zu einem eher einheitlichen Design anderer Fahrzeuge zu bieten. Damit schaffte man ein gewisses Alleinstellungsmerkmal. Marketingprofessor Stephen Brown bringt es mit folgendem Satz auf den Punkt:

Risiko #3: Werte und Gefühle der Zielgruppe sind schnell verfehlt

Wie bei jedem Marketingplan sind sowohl Analyse als auch Planung für den Kampagnenerfolg entscheidend. Auf dem Weg zum erfolgreichen Comeback muss bedingungslos berücksichtigt werden, dass jede Generation ihre eigenen Werte, Trends und Erlebnisse hat, die sie prägen. Je nach Zielgruppe wird Nostalgie unterschiedlich interpretiert und der "Retro-Charme" anders wahrgenommen. Doch an die eigene Geschichte zu erinnern, kann das Vertrauen stärken. Man muss verstehen, wie die Kindheit dieser Menschen aussah, welche Trends ihre Jugend formten und womit sie Positives und gute Gefühle verknüpfen. Man begibt sich auf die Suche nach Anknüpfungspunkten, die persönliche Assoziationen und starke (positive) Reaktionen auslösen. Zu persönlichen Erinnerungen Bezug zu nehmen ist eines der wertvollsten und effektivsten Mittel, um eine emotionale Beziehung aufzubauen.

Zusätzlich dürfen die heutigen Wünsche und Vorstellungen der Zielgruppe nicht vernachlässigt werden – auch wenn es verlockend ist, auf Bewährtes zu setzen und an vergangenem Erfolg festzuhalten. Doch schnell können, trotz einer gewissen Kontrolle im Werbekonzept, falsche Entscheidungen getroffen werden, die beispielsweise den Markenkern vernachlässigen oder dem Produkt schaden. Schnell kann ein Produkt auch als veraltet, überholt, angestaubt oder irrelevant empfunden werden, wenn es starr an alten Konzepten festhält. Ein womöglich zwanghaft übergestülpter Zeitgeist wirkt aufgesetzt und zu gewollt.

Nicht für jedes Produkt eignet sich Nostalgie-Marketing. Dessen muss man sich bewusst sein. Zudem muss das Ausmaß der Retro-Strategie definiert werden. Oftmals genügt es, bestimmten Elementen einen Hauch von Nostalgie zu verleihen. Den Nostalgie-Trend auf allen Produktenebenen und vollständig zu leben kann sehr kostenintensiv sein. Darüber hinaus verhindert er Flexibilität: Fokussiert man sich in seinen Marketing-Aktivitäten zu sehr auf ein Jahrzehnt, besteht die Gefahr, mit dem ständigen Wandel nicht mithalten zu können. Vielmehr geht es darum die langfristige Kundenbeziehung und -bindung und die Erinnerungen mit dem Produkt oder der Marke zu verknüpfen.

Fazit: Authentisch umgesetzt ist Nostalgie-Marketing wirkungsvoll

In der heutigen Zeit sind wir vermehrt auf der Suche nach Orientierung, Glaubwürdigkeit und Tradition. Positive Emotionen sind genau das, was wir brauchen. Dabei lassen wir uns gern von unseren eigenen Erinnerungen begeistern – ob für einen kurzen Augenblick oder etwas ausführlicher.  Selbst die kürzeste Vergangenheit kann ebenso gut sein, wenn man es richtig anstellt. Nostalgieprodukte können eine emotionale Lücke, die in der heutigen schnellen und modernen Zeit entsteht, gut füllen. Denn sie verkörpern viele Ideale und Eigenschaften, die im Heute verlorengehen, zumindest erschwert zu verkörpern sind: Authentizität, Sicherheit, Vertrauen und Wärme. Als Verbraucher:in lassen wir uns nur gezielt auf eine Zeitreise ein, wenn Nostalgie-Marketing authentisch gestaltet ist und im Wesentlichen zum Produkt und der Marke passt.

Die Lösung ist eine optimale Mischung und geschickte Verknüpfung von Tradition und Innovation, die die Kundschaft zur Handlung bewegen. Dem Altbewährten noch etwas Neues hinzuzufügen und im besten Fall noch "einen drauf zu setzen" stellt dennoch eine Königsdisziplin dar. Es ist keine leichte Aufgabe die alte Geschichte wiederzubeleben! Aber richtig umgesetzt kann sich daraus ein Hype, sogar ein Kult entwickeln, der sämtliche Altersgruppen mitreißt und uns lange in Erinnerung bleibt.