23. August 2018
Rauf und runter – die Kursschwankungen, die Kryptowährungen und insbesondere der Bitcoin, in den letzten Monaten durchlaufen haben, sind nicht gerade geeignet, das Vertrauen in das Thema Kryptowährungen und der dahinter liegenden Technologie der Blockchain zu stärken. Ende 2017 platzte die Blase, der massiv sinkende Kurs des Bitcoins, der zahlreiche Spekulanten reich gemacht hatte, riss zu spät eingestiegene Anleger mit sich in den Keller. Parallel dazu krachte auch der Wert aller anderen virtuellen Münzen in die Tiefe. Über 600 Milliarden Dollar an Wert wurden seither ausradiert.
Ausgerechnet Joseph Lubin beunruhigt das gar nicht. Der frühere Goldman-Sachs-Banker hat die Blockchain-Plattform Ethereum gegründet, auf der unter anderem die Kryptowährung Ether gehandelt wird. „Wir haben schon viele Blasen platzen gesehen und werden das bei der Blockchain und auch bei Kryptowährungen noch öfter. Bei 30 Dollar war der Bitcoin eine Blase, bei 200 auch und bei 20 000 Dollar sowieso“, sagte der Kanadier in einem Interview gegenüber der „Süddeutschen Zeitung. Aber solche Überbewertungen bringe mehr Geld in den Markt und damit das eigentlich spannende, die Blockchain-Technologie, voran. Kryptowährungen selbst findet Lubin gar nicht mal so interessant als Use Case. Lubins Vision geht viel weiter, hin zur nächsten Stufe des Internets: das Web 3.0. Laut Lubin hat das “alte Netz” viel zu viele Fehler: Menschen hätten keine Kontrolle mehr über ihre Daten, Unternehmen arbeiten mit den Daten der Nutzer und machen diese zu Geld. Die Intermediäre des Internets - die Googles und Amazons dieser Welt, die Datenkraken will er umgehen. Mithilfe der Blockchain will Lubin das bessere Facebook, das bessere Uber, ganz einfach das bessere Internet erschaffen. Mittlerweile entwickelt der kanadische „Krypto Milliardär“ (Forbes) mit seiner Firma Consensys neue Anwendungen auf Basis der Ethereum-Blockchain.
Ein Beispiel dafür ist eine Identitätsplattform, die die Schweizer Stadt Zug seit Herbst 2017 in Betrieb genommen hat. Die Identität der Teilnehmer wird auf einer Blockchain hinterlegt. Über ihr Smartphone können die Bürger sich dann überall und ohne Verzögerung verifizieren. „Wir wollen eine Art digitalen Pass für alle möglichen Anwendungen“, beschreibt Zugs Stadtpräsident Dolfi Müller. Seit Ende Juni etwa können registrierte Einwohner sogar ein elektronisches Abstimmungssystem auf Blockchain-Basis nutzen.
Kein Einzelfall. Die Blockchain kann bei weitem nicht nur einen grenzüberschreitenden und fälschungssicheren Betrieb eines digitalen Geldsystems garantieren – mit ihr lässt sich im Prinzip jeder Prozess organisieren, der irgendwie digital abbildbar ist. Denn die Blockchain ist nichts anderes als eine speziell aufgebaute Datenbank, die Informationen dezentral auf vielen Computern verteilt, abspeichert und synchronisiert. Dezentral bedeutet, dass die riesige Datenbank nicht auf einem einzelnen Server oder Cloudsystem liegt, sondern über viele Computer verteilt ist. Jeder dieser Computer besitzt eine eigene, vollständige Kopie der Datenbank. Zusammen bilden diese das Blockchain-Netzwerk. Der Vorteil: Keine Person, Behörde oder Unternehmen hat die alleinige Macht über dieses Journal. Die Teilnehmer besitzen die gleichen Zugriffsrechte und Möglichkeiten. Änderungen werden sofort protokolliert und an alle Teilnehmer übermittelt.
Selbst die Europäische Union will den Anschluss nicht verpassen. Seit Februar unterhält sie eine Abteilung für Blockchain-Technologie. Ziel sei es, „Risiken und Potenzial“ auszuloten. Eine gesetzliche Regulierung plant die Kommission aber derzeit nicht. Der weiteren Verbreitung sind vorerst keine Grenzen gesetzt. Weltweit erproben IT-Abteilungen und Innovationslabors deshalb den Einsatz der Technologie, schieben Feldversuche und Pilotprojekte an. Unternehmen, ja selbst Wettbewerber, schließen sich zu Konsortien zusammen, um Standards zu vereinbaren und gemeinsame Anwendungen zu testen. Bestes Beispiel – die Versicherungsbranche: Im B3i-Konsortium bauen 15 Rückversicherer an einer gemeinsamen Blockchain-Lösung. Dirk Sebald, Gründer und CEO der Deon Digital AG, wundert das nicht: „Das ist für jegliche Branche spannend, die sehr komplexe Vertragsverhältnisse hat. Dazu gehört das Bankwesen genauso wie Versicherer, Bauwesen oder Logistik mit dem sehr komplizierten Shipping- und Frachtbusiness.“
Aber auch für das Gesundheitswesen oder den Energiemarkt sieht Sebald große Potenziale (siehe Interview) und steht damit nicht allein da. So groß ist die Euphorie, dass es derzeit als Unternehmen anscheinend genügt, „irgendwas mit Blockchain“ zu machen: So geschehen bei Long Island Iced Tea: Nachdem sich der amerikanische Getränkehersteller in „Long Blockchain Corp.“ umbenannte, legte der Aktienkurs der Firma prompt um 500 Prozent zu. Doch die Technologie ist alles andere als eine Spielwiese für Krypto-Spinner und IT-Nerds. So war der bedeutendeste Entwickler des Blockchain-Technologie-Geschäfts laut einer Befragung von Juniper unter Unternehmern und Managern 2017 kein innovatives Startup, sondern ein 106 Jahre alter Konzern: IBM. Auf Platz zwei landete Microsoft.
Die Finanz- und Ressourcenstarken Konzerne arbeiten an Lösungen, um auch die Nachteile in den Griff zu bekommen. Denn noch ist die Blockchain-Technologie nicht beliebig skalierbar. Das zeigt ausgerechnet ihr bekanntestes Anwendungsbeispiel. Würde man mit den Bitcoins ebenso viele Transaktionen tätigen, wie sie über Visa laufen, würden Daten mit hunderten von Terabyte anfallen. Die Bitcoin-Blockchain wächst stetig, da ständig neue Blöcke mit neu abgeschlossenen Bitcoin-Transaktionen hinzukommen. Jeder Computer, der an das Bitcoin-Netz angeschlossen ist, neue Bitcoins erzeugt und die bisher erzeugten verwaltet, speichert eine 1:1-Kopie der vollständigen Blockchain. Eine derart große Datenkapazität ist für den Normalverbraucher derzeit nicht realistisch. Und damit ist völlig klar: Für die zirka 20 Milliarden Überweisungen pro Jahr im deutschen Inlandszahlungsverkehr ist das System schlicht zu schwach. Zu der großen Datenmenge kommt ja noch die notwendige Rechenleistung, um die Integrität der Blockchain immer wieder neu zu bestätigen. Die erfordert nicht nur große Rechnerkapazitäten, diese Rechner benötigen auch eine Unmenge Strom, um die Verknüpfungshistorie nachzuvollziehen.
Wo die Blockchain von ihren Befürwortern ursprünglich als disruptive Innovation gesehen wurde, nämlich im Zahlungsverkehr zwischen Privatpersonen, erweist sie sich also bei näherem Hinsehen als untauglich. Für die Blockchain gilt das nicht. Die Einsatzzwecke sind zu vielfältig. Private Blockchains begrenzen zudem die Anzahl der Teilnehmer und der benötigten Speicher- und Rechenkapazitäten. Und auch die Performance der Systeme steigt. Dirk Sebald ist deshalb überzeugt: „Das ist nur eine Frage der Zeit und Technologie, und das wird gelöst werden.“