B21F6BB4-1C5E-4341-9402-72115F03EA26 24. August 2018

"Das ist ein toller Trend: Wettbewerber rücken zusammen und arbeiten zusammen."

Dirk Sebald, Geschäftsführer der Deon Digital AG, spricht über die Chancen die die Blockchain für jegliche Art von Unternehmen eröffnet.


Sie machen „irgendwas mit Blockchain“. Was genau ist Ihre Geschäftsidee?

Bei uns dreht sich alles um Smart Contracts. Wir haben eine Softwaresprache mit einem darunterliegenden Softwareroboter entwickelt, die das schnelle und unkomplizierte Erstellen von intelligenten automatisierten Verträgen ermöglicht. Verträge, die sowohl Menschen als auch Maschinen lesen können. Die Verträge können dabei von Maschinen erstellt werden und sind dann vom Menschen lesbar oder aber umgekehrt. Es gibt also keinen Medienbruch mehr. Darüber hinaus haben wir in unsere Software eine Lösung eingebaut, die die Verträge auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft.

Würden Smart Contracts auch ohne Blockchain funktionieren?

Ja, die eigentliche Software funktioniert auch ohne Blockchain. Die meisten Unternehmen arbeiten ja noch mit alten IT-Systemen. Wir können die klassischen Datenbanken und IT Systeme ansprechen, wir können dort Daten abrufen und Daten zurückspielen. Das ist ein wichtiger Punkt: es macht gar keinen Sinn, jegliche Daten auf der Blockchain zu speichern. Sie macht Sinn in all den Fällen, in denen ich eine sichere Bestätigung und Transparenz einer Transaktion brauche. Und hier kommt die Blockchain auch bei uns ins Spiel: jeder Nutzer auf der Blockchain hat eine Kopie des aktuellen Vertrags und des derzeitigen Status, und das ist nicht manipulierbar. Für jede Änderung müsste jeder der Teilnehmer zustimmen und das ist ein großer Vorteil, was Sicherheit und Transparenz betrifft.

Was würden Sie auf der Blockchain speichern und was auf den alten IT-Systemen?

Wir würden alles, was vertragsrelevant ist, auf der Blockchain speichern. Also all das, wo es um Transaktionen, Rechte und Pflichten geht, sämtliche regulatorischen Anforderungen, die die Teilnehmer erfüllen müssen. Alles andere kann auf klassischen Systemen verbleiben.

Also alles, von dem ich gar nicht möchte, dass es jeder sieht?

Sie müssen auch in einer Blockchain nicht jedem alles offenlegen. Es gibt Private Blockchains, die anonym sind und bei denen genau definiert ist, welche Parteien dabei sind und was die jeweiligen Teilnehmer zu sehen bekommen. Sie können hier, wie in einem IT-System Rechte vergeben, wer welche Daten braucht und nutzen darf. Das führt in Zukunft dahin, dass jeder Benutzer Herr seiner Daten wird und sehr genau entscheiden kann, wem er seine Daten freigibt. Auf der anderen Seite gibt es auch die Public Blockchains, bei denen alle Daten öffentlich verfügbar sind.

Für wen ist diese Geschäftsidee spannend?

Das ist für jegliche Branche spannend, die sehr komplexe Vertragsverhältnisse hat. Dazu gehört das Bankwesen genauso wie Versicherer, Bauwesen oder Logistik mit dem sehr komplizierten Shipping- und Frachtbusiness. Aber auch Gesundheitswesen oder der Energiemarkt. Es wird sich aber auch sehr schnell in allen andern Branchen verbreiten, denn jedes Unternehmen hat Geschäfte die durch Verträge abgebildet sind.

Haben Sie bereits einen konkreten Anwendungscase umgesetzt?

Wir haben einen sehr spannenden Use Case für eine spanische Bank umgesetzt, der zeigt, dass durch die Blockchain neue Eco-Systeme entstehen. Wenn Sie in  Spanien ein Haus kaufen, so dauert es in der Regel durchschnittlich 90 Tage, bis Sie es beziehen können. Das liegt an den sehr umfangreichen Regularien und Formalien: Wenn Sie einen Kredit aufnehmen, um das Haus zu finanzieren, brauchen Sie eine Lebensversicherung, Sie brauchen eine Hausratversicherung, Sie müssen Verträge mit Anbietern für Strom, Wasser und Gas abschließen. Sie benötigen Bestätigungen vom Notar und vom Grundbuchamt. Alle Teilnehmer verlangen hierfür gleiche oder unterschiedliche Informationen von Ihnen, die die Bank aber alle hat. Unser Kunde hat deshalb alle Provider auf eine Plattform gebracht, um den Prozess von 90 Tagen auf einen Tag zu reduzieren. Der Endkunde bekommt auf der Plattform sogar Angebote von unterschiedlichen Stromanbietern präsentiert, kann diesen auswählen und dort den Vertrag schließen. Da arbeiten unterschiedlichste Anbieter zusammen und der Kunde und der bessere Service stehen im Mittelpunkt.

Da sieht man, dass Blockchains für Endkunden sehr relevant sind...

Ja, aber auch für die Unternehmen, sie brauchen nicht mehr zig Formulare, die physisch unterschrieben werden müssen, das läuft alles über eine Plattform. Dort ist alles hinterlegt und jede Änderung ist für alle Betroffenen ersichtlich. Für das Konsortium mobility-os.org arbeiten wir etwa an einer Plattform, auf der unterschiedliche Mobilitätsanbieter ihre Services gemeinsam anbieten können. Die Plattform vereint völlig unterschiedliche Anbieter wie Fluggesellschaften, Carsharing oder die Bahn. Wenn Sie zum Beispiel Zug fahren und Ihren Anschlusszug verpassen, weil ihr Zug Verspätung hat, bekommen Sie in einer App Alternativen angezeigt und können diese buchen. Die Anbieter behalten dabei ihre eigenen Systeme. Wir legen unsere Plattform darüber und greifen auf die nötigen Daten zu und schaffen Verbindungen zwischen den Systemen und Anbietern. Alles was an Verrechnungen und Gutschriften und Provisionen läuft, muss der Kunde nicht sehen, das läuft hinter den Kulissen auf der Blockchain, er bekommt nur das Ergebnis, seine Tickets für Alternativverbindungen etwa oder die Gutschrift. Wenn in der Reiseverbindung das eindeutige Ereignis „Zug verpasst“ eintritt, wird das auf der Blockchain vermerkt und löst dann automatisch eine Gutschrift für den Endkonsumenten aus.

Schöne neue Welt ohne komplexe Formulare, hoffentlich wird sie real! Aber gab es das nicht auch schon ohne Blockchain?

Es gab in Deutschland schon zwei große Initiativen, solche Mobilitätsportale zu bauen. Die sind beide nach zig Millionen Ausgaben gescheitert. Jedes der Unternehmen hat seine eigene IT-Infrastruktur und Schnittstellen und das erzeugt eine Komplexität, die nicht mit klassischen Softwarelösungen abzubilden war. Die Blockchain, weil sie ja überall verteilt ist, ermöglicht, viele Anbieter und Nutzer zu managen.

Sind dem keine Grenzen gesetzt?

Die Blockchain hat in der Tat heute noch Limits bei Transaktionsvolumen und -geschwindigkeit. Aber das ändert sich laufend. Es gibt heute schon Systeme, die 10.000 Transaktionen pro Sekunde managen können, das war vor einem halben Jahr noch nicht der Fall. Ich gehe davon aus, dass die Systeme besser und performanter werden. Das ist wie beim Internet, da hat am Anfang auch keiner geglaubt, dass darüber irgendwann jeglicher Email- und Datenverkehr gemanagt werden könnte. Das gleiche gilt für die Blockchain. Das ist eine Frage der Zeit und Technologie, und das wird gelöst werden.

Auf welchem Stand sind wir - wie schnell ist die Blockchain? 2500 Modem oder DSL?

Nein, vergleichbar langsam wie ein altes Modem ist sie nun auch wieder nicht. Im Vergleich zu Mobile liegen wir heute irgendwo bei Edge und 3G, aber es gibt schon erste Lösungen die zeigen dass die Blockchain auch schon 4G im Laufe des nächsten Jahres verwirklichen kann. Und 5G dann 2020/2021.

Gilt das auch für Public Blockchains?

Auch diese Blockchains entwickeln sich weiter. Bitcoin-Transaktionen etwa werden Public abgewickelt, und sie dauern in der Tat noch mehrere Minuten, aber das ändert sich. Hier ist es schwieriger, weil wesentlich mehr und weltweit verteilte Rechner beteiligt sind. Private Blockchains sind deutlich performanter. Viele Menschen setzen Krypto-Währungen mit Blockchain gleich, das ist aber nur ein Anwendungsfall, der auf der Blockchain abgebildet wird. Technologien, die wir im Vertragswesen nutzen, sind heute schon viel performanter. Deswegen sind wir auch überzeugt, dass sich das durchsetzen wird. Für Verträge und Prozessabwicklung sehen wir ein riesiges Potenzial auf der Blockchain. Wir sehen ja, dass die Unternehmen interessiert sind, dass die Projekte und Investitionen immer größer werden und die Erfolge geben hier auch recht.

Wann hat es bei den Unternehmen so richtig Klick gemacht?

Das war in der zweiten Jahreshälfte 2017, da gab es einen richtigen Ruck, als man die ersten Blockchain-Anwendungen gesehen hat, die funktionieren. Derzeit haben sich bereits 93 Logistikkonzerne zu einem großen Konsortium zusammengeschlossen um Blockchain Lösungen zu untersuchen. Das ist ein toller Trend: Wettbewerber rücken zusammen und arbeiten zusammen. Die Unternehmen denken weniger in den eigenen Silos, es baut nicht mehr jeder seine eigene IT-Lösung, in Zukunft werden gemeinsame Projekte umgesetzt. Das ist auch vernünftig: Warum soll jeder Versicherungskonzern seine eigene Lösung entwickeln? 15 Rückversicherer haben ebenfalls schon ein großes Konsortium gebildet. Im B3i bauen sie an einer gemeinsamen Blockchain-Lösung. In Smart Contracts werden hier Vertragsbedingungen eingebaut, bei großen Naturkatastrophen etwa kann sofort ermittelt werden, wer von einem Schadensfall betroffen ist und auf welchen Versicherer und Rückversicherer welche Summen zukommen. Versicherungskonzerne sind überhaupt ein sehr gutes Beispiel: man kann eine Versicherung anbieten, die sofort in Kraft tritt zum Beispiel wenn Sie eine Mountain-Bike-Tour starten. Ein Klick - und Sie sind versichert. Das ist die Zukunft! Einen Instant Vertrag abschließen, und es gibt keinerlei Zweifel darüber wann ein Vertragsverhältnis begonnen hat. Es beginnt in der Sekunde, in der der Kunde zustimmt und das wird sofort auf der Blockchain gespeichert und ist nicht mehr manipulierbar.

Inwieweit ist Ihre Technologie auch für Werbe- und Medienunternehmen bzw. Agenturen interessant?

Für solche Unternehmen ist das sehr spannend. Medienunternehmen haben sehr komplexe Prozesse, seien es Provisionen, Abrechnungen, Buchungssysteme. Da gibt es einigen Abstimmungsbedarf mit den Beteiligten, der sich über Blockchain regeln lässt. Nehmen Sie nur das Thema Rechtemanagement. Ein Medienhaus, das Rechte vermarktet, hat weltweit unterschiedlichste Abnehmer und Nutzer. In Zukunft gibt es Standardverträge, die automatisch gemanaged werden. Gibt es Änderungen in den Vertragskonditionen, werden alle Teilnehmer benachrichtigt und sie können zustimmen. Sie können über jegliche Aktivitäten Statusberichte und Reports im System auswerten, sie bekommen Benachrichtigungen, wenn Vertragsbedingungen nicht eingehalten werden. Man muss nicht jeden einzelnen Vertrag anfassen, sondern alle Teilnehmer, die von einer Änderung betroffen sind, werden automatisch benachrichtigt. Wenn der Kunde zustimmt, ist es automatisiert abgespeichert. Das nimmt viel Komplexität und fehleranfälliges Handling aus dem Geschäftsalltag.

Was müssen Unternehmen denn tun, damit Sie für solch eine Blockchain-Zukunft gerüstet sind?

Als Unternehmen muss ich erst einmal darüber nachdenken, für welche Geschäftsprozesse und Verträge es Sinn macht, sie auf die Blockchain zu bringen. Wo hat man ein hohes Komplexitätsniveau? Viele Unternehmen fangen klein an. Sie definieren zwei, drei Themen, wo Handlungsbedarf und Vereinfachungspotenzial besteht. Man macht einen Proof of Concept und wenn es funktioniert startet man aus dem Use Case ein Projekt. Man muss mit der Blockchain nicht die gesamte IT anfassen. Man kann einen Teilprozess herausschneiden, ihn verändern und auf die Blockchain bringen. Die Daten laufen dann immer noch in die bestehenden Systeme rein. Wenn das funktioniert, dann geht man das nächste Projekt an.

Dann ist es also für Unternehmen jeder Größenordnung interessant?

Ja, wir haben neben großen Konzernen auch KMU’s und Startups, die ihre neuen Geschäftsmodelle mit unserer Technologie auf der Blockchain aufbauen. Eine millionenschwere Softwarelösung macht für diese Unternehmen keinen Sinn.

Über Dirk Sebald

Dirk Sebald ist CEO von Deon Digital AG. Er bringt langjährige Erfahrung in den Bereichen Innovation, Digitalisierung, Change Management und Strategieentwicklung mit. Er hat in leitenden Positionen sowie als Berater in den Branchen Financial Services, Versicherungen, Telekommunikation und Gesundheitswesen gearbeitet.