B21F6BB4-1C5E-4341-9402-72115F03EA26 19. Juni 2024

KI-Ausblick für die nächsten 10 Jahre mit Gianluca Mauro, Gründer der AI Academy

Vor kurzem haben wir unser Crossroads Essay „The Future of AI“ veröffentlicht. Was wir über KI wissen und welche Auswirkungen sie in den nächsten 10 Jahren auf den deutschen Medien- und Kommunikationsmarkt haben wird. Mit unserer Interviewreihe möchten wir euch spannende Insights aus unseren Experteninterviews geben und beginnen mit Gianluca Mauro, Gründer der AI Academy.

Gianluca Mauro entdeckte seine Leidenschaft für KI während seines Studiums im Silicon Valley. 2018 gründete er die AI Academy, ein Unternehmen, das Menschen und Organisationen durch Workshops, Beratung, Online-Kurse und sein Buch „Zero to AI“ dabei hilft, KI zu verstehen und anzuwenden. Neben dem Unterrichten von KI ist er im Bereich KI-Ethik aktiv und leitete eine Untersuchung für The Guardian und das Pulitzer Center darüber, wie KI-Algorithmen die Körper von Frauen objektivieren.
 

Wo stehen wir deiner Meinung nach derzeit im Bereich KI und wo werden wir in 10 Jahren stehen?

Ich arbeite seit fast 10 Jahren im Bereich der Künstlichen Intelligenz, was bedeutet, dass ich viele verschiedene Phasen miterlebt habe. Aber es gibt eine Sache, die ich immer wieder sehe: Es gibt eine Verzögerung zwischen dem Zeitpunkt, an dem eine Technologie bereit zum Einsatz ist – also ziemlich gut funktioniert – und dem Zeitpunkt, an dem Unternehmen auf sie aufmerksam werden und sie einsetzen. Wenn ich zum Beispiel an Computer Vision denke, die eine andere Form der KI ist, funktioniert diese seit 2015 recht gut, aber Unternehmen nutzen sie beispielsweise immer noch nicht in Fabriken. 

Wenn ich speziell auf den Fall der generativen KI schaue, denke ich, dass viele Dinge noch nicht ausreichend erforscht sind. ChatGPT zum Beispiel ist nicht perfekt, aber definitiv schon nützlich. In den nächsten drei bis fünf Jahren erwarte ich viel mehr Experimente aus der Perspektive von Unternehmen. Ich möchte mehr Anwendungsfälle und eine engere Integration in die Werkzeuge sehen, die Unternehmen täglich nutzen.

Was wird Unternehmen deiner Meinung nach dazu bewegen, KI zu nutzen und mehr Anwendungsfälle zu schaffen?

Ich denke, die Hauptbarrieren sind fehlendes Wissen und eine mangelnde Experimentierfreudigkeit. Ich sehe Organisationen, die sich noch fragen, ob es Anwendungsfälle für sie gibt, und dabei übersehen, dass Generative KI eine Allzwecktechnologie ist: Es liegt an ihnen, die richtigen Anwendungsfälle für ihr Unternehmen und ihre Branche zu finden. Die Lösung besteht darin, in Bildung zu investieren und einen sicheren Raum für Teams zu schaffen, um zu experimentieren und zu forschen.

Es gibt auch Organisationen, die aufgrund der Unsicherheit, die mit dieser neuen Technologie einhergeht, zögern. Nehmen wir zum Beispiel den EU AI Act: Wie fühlt man sich als Unternehmen sicher, in eine Technologie zu investieren, von der man noch nicht weiß, wie sie reguliert wird? Aber wird man sie gleichzeitig ignorieren können, wenn alle fragen, wie man tätig wird? Die Spannung zwischen diesen beiden Punkten ist definitiv vorhanden, aber es gibt immer noch viele Fragezeichen, und man muss mutig sein, um Risiken einzugehen und Wetten abzuschließen. Es gibt mehrere Faktoren, die zusammenkommen müssen, damit eine neue Technologie erfolgreich eingeführt werden kann, und diese Faktoren brauchen Zeit.
 

Was passiert mit dem europäischen Markt, wenn alle großen KI-Unternehmen außerhalb Europas ansässig sind?

Wir haben die Vorstellung, dass ausschließlich Europa das Regulieren übernimmt: Die USA innovieren und Europa reguliert. Das ist auch bei der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) passiert, die die stärkste Datenschutzregelung weltweit ist. Aber wir haben gesehen, was passiert ist, als die DSGVO als erste ihrer Art eingeführt wurde: Die meisten Unternehmen haben die DSGVO global umgesetzt. Dieser Standard hat sich weltweit verbreitet. Ich weiß nicht, ob der EU AI Act in seiner jetzigen Form bestehen bleibt oder sich auf alle ausdehnt. 

Aber die Europäer:innen sind nicht die einzigen, die regulieren. Und der Grund dafür ist, dass wir wissen, was passiert, wenn man Technologie unterreguliert – z. B. im Fall von sozialen Medien. In den USA wird immer noch darum gekämpft, weil sie nichts dagegen unternommen haben. Wir wissen also, dass es ein großes Problem ist. Das ist Punkt eins. Punkt zwei: KI ist eine sehr große Sache. Das potenzielle Ausmaß von KI bewegt sich im Billionen-Dollar-Bereich. Angesichts dieser beiden Punkte gibt es viel Angst. KI ist ein massiver strategischer Vorteil auf globaler Ebene, nicht nur auf Landes- oder Unternehmensebene.

Was ist für dich eine zu
100 % ausentwickelte KI?

Für mich ist es die völlig neue Art, mit Computern zu interagieren. Ich denke, wir machen etwas falsch mit der Entwicklung von Technologie. 

Wir haben viele Technologien in unser Leben integriert, wie Zoom-Anrufe, Smartphones, das Internet und all diese Dinge, aber es fühlt sich so an, als gäbe es eine Diskrepanz zwischen der Menge an Power, die wir in unserem Leben haben, und der Menge an Produktivität und Lebensqualität, die wir haben. Ich hoffe auf eine Welt, in der KI uns tatsächlich produktiver macht, indem sie Dinge aus dem Weg räumt, die wir nicht tun wollen, und wir unsere Energie auf wichtigere, erfüllendere und hochwertigere Aufgaben konzentrieren können. Es fühlt sich ein wenig unbehaglich an, das zu sagen, weil das schon lange das Versprechen von Technologie ist. Man hat mir schon als Kind gesagt, dass Technologie unser Leben verbessern wird. Ich hoffe also, dass sich die Art und Weise, wie wir arbeiten, endlich spürbar verändert. Das hoffe ich wirklich. Weil es zu menschlicheren Beziehungen führen kann. Denn manchmal kann Technologie – wie eine langweilige Excel-Tabelle – die entmenschlichendste Erfahrung sein, die man haben kann. Wenn ich all das automatisieren kann, kann ich vielleicht einfach mehr mit Menschen sprechen.


Du willst mehr wissen? Dich mit uns austauschen? Schreibe uns gerne an: Strategie(at)stroeer.de