B21F6BB4-1C5E-4341-9402-72115F03EA26 13. Dezember 2023

Das Potenzial von Digitalen Zwillingen im modernen Marketing

Wie lange wird es (noch) dauern, bis digitale Zwillinge (engl. Digital Twin, kurz DT) von uns selbst in digitalen Sphären alltäglich werden? Gegenwärtig ist der Großteil von uns nicht bereit, teilweise sehr persönliche Daten zur Erstellung einer detailgenauen virtuellen Nachbildung von sich selbst freizugeben. Wenn es um unsere eigene Gesundheit geht, sind einige schon etwas offener. Gilt das perspektivisch auch für den Marketing- und Kommunikationsmarkt, in dem digitale Zwillinge als eine Art neue Generation von Empfehlungssystemen gesehen werden und uns durch hyperpersonalisierte Angebote ein optimales Kund:innen Gesamterlebnis können? Wir fassen die Key Insights unserer Ströer Trendstudie Crossroads Evolution zum Trend Digital Twin zusammen, stellen Charakteristika dar und schauen uns den Markt mit seinen technologischen Treibern und Risiken an.

 

Ein digitales Abbild – als Person, Prozess oder Objekt

Hört man von digitalen Zwillingen, denkt man instinktiv möglicherweise in erster Linie an ein detailgenaues digitales Abbild einer Person. Das kann es auch sein. Dabei liefern digitale Zwillinge jeder Branche mit Projekten mit großer physischer Dimension oder komplexer Mechanik einen großen Mehrwert. Ein digitaler Zwilling kann in gleicher Weise ebenfalls ein digitales Abbild eines Objektes, eines einzelnen Prozesses / einer Kette oder auch eines Ortes und eines ganzen Systems, wie beispielweise einer Stadt als Ökosystem, sein.

Hierzulande ist der Markt des digitalen Zwillings stark durch die Fertigungsindustrie (Automobil und Logistik) getrieben, durch digitale Abbilder von Objekten und Prozessen. Seit Langem werden digitale Zwillinge bereits als effizientes Software-Modell für eine digitalisierte zukunftsgerichtete Industrie 4.0 eingesetzt. Die Entwicklung liegt nahe, dass wir zukünftig digitale Zwillinge von uns selbst als Person haben. Letztlich sind wir diejenigen, die – neben unseren Stammdaten im Besitz – kontinuierlich sowohl im realen Raum als auch in digitalen Welten neue Daten generieren.

 

Ein noch junger Markt mit vielversprechender Perspektive

Die Zahlen zum Markt des digitalen Zwillings zeigen, anhand Umfragen auf Führungsebene, dass es teilweise ein gutes Verständnis und Befürwortung gibt, aber reale Cases fehlen. So zeigt eine Befragung von Fraunhofer, dass 85 % der deutschen Unternehmen ein Konzept für einen digitalen Zwilling entwickelt haben, doch gerade mal bei 8 % der Unternehmen sind sie bereits im Einsatz. Es braucht mehr Anwendungsfälle und Best Practices, um digitale Zwillinge flächendeckender und standortunabhängiger einzusetzen – ebenso Investments und die nötige Portion Mut. Doch in Summe kann es sich auszahlen, denn die globale Prognose ist vielversprechend:

Digital Twin: Technologische Enabler und Treiber

Wie bei vielen technologischen Trends darf die Entwicklung eines digitalen Zwillings nicht isoliert betrachtet werden, denn Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), 3D, Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) nehmen gegenseitig starken Einfluss auf den Trend. Rund um KI und der Kombination aus Machine Learning, Automatisierung, Kommunikationstechnik (z.B. schnelles 5G-Netzwerk) und Predictive Analytics ergeben sich unzählige Möglichkeiten für einen digitalen Zwilling. Gewiss nutzt der digitale Zwilling KI, um zu simulieren, was passiert, wenn Änderungen in den Bedingungen auftreten und wie reagiert werden kann, ohne dass das reale Objekt denselben Änderungen ausgesetzt werden MUSS! Und: Wird der digitale Zwilling umfassend mit KI genutzt, ist das der höchste Reifegrad, der ihm zugeschrieben werden kann. Zudem schlägt das Thema eine gute Brücke zum Metaverse und AR-Anwendungen. Auch wenn das Metaverse das Entfliehen aus der realen Welt ermöglicht, kann der digitale Zwilling mit Hilfe des Metaverse die reale Welt weiter verbessern (z.B. das Testing von Produkten in virtuellen Umgebungen).

Was macht einen Digital Twin aus?

Was die Definitionen, Interpretationen oder das Verständnis des digitalen Zwillings angeht, gibt es ein breites Spektrum und keine Einheitlichkeit: Es gibt verschiedene Blickwinkel, Stakeholder und meist ist unklar, ab wann von einem digitalen Zwilling gesprochen werden kann.

  • Ist es bereits die Datenerfassung für den digitalen Zwilling?
  • Umfasst der digitale Zwilling immer eine 3D-Modellierung?
  • Reicht ein Datenabbild aus, das Daten aus der physischen und der virtuellen Welt erfasst, verarbeitet und eine Verbindung zwischen diesen darstellt?

Auch wenn digitale Zwillinge unterschiedlich definiert werden, gibt es Kriterien, die digitale Zwillinge eindeutig charakterisieren, bei denen Einigkeit herrscht.

  • Der digitale Zwilling verknüpft als eine Art Werkzeug das reale Produkt und das digitale Abbild erstmals direkt miteinander.
    So wird ein virtuelles Abbild der Realität geschaffen, das den echten Zustand eines realen Produktes darstellt. Das kann bei bereits real existierenden Produkten der Fall sein, ebenso aber auch bei Produkten, die in der Entstehung oder Planung sind.
  • Der digitale Zwilling ist nur so gut wie seine Daten!
    Die Datenqualität spielt eine besonders entscheidende Rolle.
  • Digitale Zwillinge müssen als ein fortlaufender Prozess verstanden werden und müssen beständig den gesamten Produktionsprozess oder Lebenszyklus abbilden.
    Und das von Beginn an. Denn: Unter Umständen ist zu Beginn nicht eindeutig, welche Informationen in späteren Phasen eine gewisse Rolle spielen werden/können. Wird von Beginn an, nicht alles Relevante erfasst, ist eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit des realen Produktes, was die zentrale Zielsetzung des digitalen Zwillings ist, nicht garantiert.

 

 

Digital Twin: Mehr Effizienz bei Mensch und Maschine

Im Allgemeinen ist das Wachstum des Trends daraus getrieben, dass sich im Zuge der Fülle an Daten, die täglich entstehen, die Anforderungen für mehr Effizienz bei Mensch und Maschine verändern. Bevor real, beispielsweise in einer Serienproduktion Ressourcen entstehen, lassen sich mit digitalen Zwillingen als Prototypen am Computer ressourcenschonende & kostengünstige Alternativen schaffen. Im Sinne von Nachhaltigkeit ein entscheidender Zukunftsfaktor!

Stellt man durch den Einsatz von digitalen Zwillingen die Wirklichkeit nach und versteht diese, hat man als einsetzendes Unternehmen eine ideale Grundlage, um Simulationen und Szenarien darauf aufzubauen, durchzuführen und auf Basis dieser Vorhersagen zu treffen.

Dafür müssen digitale Zwillinge Muster erkennen und Dateninformationen auslesen. In Summe wird damit ein enormer Wissensvorsprung generiert, der besonders in Zeiten von Krisen und Unsicherheiten hilft, sich mit dem Wissen auf Ernstfälle vorzubereiten oder im Allgemeinen richtige Entscheidungen bei Anpassungen im Produktlebenszyklus zu treffen.

 

 

 

Was leistet ein Digitaler Zwilling in welchen Anwendungsbereichen?

Ein digitaler Zwilling hat alle definierten Prozesse eines Unternehmens im Blick – auch mehrere gleichzeitig. So hat man als Unternehmen eine Chance mögliche Herausforderungen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Handelt es sich um ein bereits existierendes Produkt, werden über Sensorik permanent Echt-Zeit-Daten gesammelt, mit denen der digitale Zwilling gefüttert wird. Durch Überwachung und Datensammlung lernt er und kann bei anstehendem Leistungseinbruch entsprechend melden, so dass – durch real existierende Personen – eingegriffen werden kann.

Wenn wir uns von physischen Produkten und Objekten lösen und zu den Prozessen schauen, ist es ganz spannend zu sehen, dass der Finanzsektor mit Banken, Finanzdienstleistenden und Versicherungen beim Einsatz von digitalen Zwillingen weit vorne liegt. 71 % der Befragten innerhalb der Branche gaben in einer Umfrage an, dass ihre Unternehmen digitale Zwillinge bereits nutzen, um Sicherheit aufrechtzuerhalten sowie Betrug und kriminelle Aktivitäten entgegenzuwirken.

Noch spannender wird es, wenn wir digitale Zwillinge im Kontext Medizin sehen. Denn da werden Deutsche ganz aufgeschlossen, wenn es um individuellere Therapien, genauere Diagnosen oder die Reduzierung von Fehldiagnosen und -behandlungen geht. Dann wären Acht von zehn Deutschen grundsätzlich bereit dazu, einen virtuellen Doppelgänger für eine individuelle und bezahlbare Medizin von sich selbst anfertigen zu lassen. Besonders Menschen mit Diabetes setzen große Hoffnungen in digitale Zwillinge, um durch Computersimulationen mögliche Folgeschäden früher zu erkennen und zu reduzieren – auch wenn sie dafür Vorlieben, Verhaltensweisen sowie Daten zur physischen und sozialen Umgebung teilen müssen.  

 

Blicken wir in ein System, können wir im Kontext Stadt auch von urbanen digitalen Zwillingen sprechen, die mit digitalen Abbildern auf Basis von Geo-Daten ganze Orte, Stadtteile oder Straßenzüge abdecken. Sie können mit dem Abbild von Bild- und Messdaten und der physischen Erdoberfläche in unterschiedlichen Ebenen als digitales, lebendiges Ökosystem entstehen (Bekannteste Beispiel: Google Earth). Dadurch wird es möglich kurzfristige Dynamiken in der Stadt abzubilden, schneller auf Veränderungen reagieren zu können und diese bei neuen Plänen oder bei der allgemeinen Stadtentwicklung zu berücksichtigen – im besten Fall unter Berücksichtigung des Informationsfeedbacks der Bürgerinnen und Bürger mit dem Ziel eine Stadt sicher, nachhaltig und lebenswert zu machen. Mit Connected Urban Twins haben die drei Partnerstädte Hamburg, Leipzig und München eine Datenplattform für einen digitalen Zwilling geschaffen. Ebenso gibt es einen digitalen Zwilling der Stadt Wuppertal. Der Rhein-Kreis Neuss freute sich im November 2023 über eine Förderung des Miniteriums für den gemeinsamen Aufbau eines Digitalen Zwillings.

Wie sehen Digitale Zwillinge von Kund:innen und Verbraucher:innen aus?

Sprechen wir von Digital Twins of a Customer (kurz: DToC) sind damit dynamische, detailgenaue virtuelle Nachbildungen von einzelnen Kund:innen gemeint, die simulieren und lernen, Verhalten nachzuahmen und zu antizipieren. Das große Ziel sind Vorhersagen über das zukünftige (Konsum-)Verhalten und auf Basis dessen ein optimales Kund:innen-Erlebnis zu kreieren. So können Reaktionen auf (neue) Produkte und Services kostensparender vorhergesagt und im Vorfeld getestet werden, um auf Basis dieses Wissens, hyperpersonalisierte Produkte entwickeln zu können.

Im Rahmen unserer Trendstudie Crossroads Evolution vertreten wir die These, dass DToC im Marketing erst in fünf bis zehn Jahren als Nischenanwendung angekommen sein werden. Besonders im Kommunikationsmarkt muss sich der digitale Zwilling erst durch mehrwertgenerierende Cases noch beweisen.

Digitale Zwillinge im Marketing

Im Marketing ist es besonders interessant, die Customer Journey über alle Kanäle hinweg als digitales Abbild in Form eines Zwillings zu besitzen und diesen zu nutzen. Man kann DToC in diesem Kontext als eine Art neue Generation von Empfehlungssystemen sehen, die eine zuverlässige Vorausschau bieten, was wem wann und auf welchem Wege angeboten werden soll. Aber welche Daten werden für einen DToC und eine zuverlässige Vorrauschau von zukünftigem Verhalten, nächster Absicht oder voraussichtlichem Bedarf gebraucht?

  • Ein DToC basiert auf Marketing-Personas und wird mit einer Vielzahl an beschreibenden (Stammdaten), historischen und Echtzeit-Daten – sowohl aus der Onlinewelt als auch aus physischen Interaktionen, beispielsweise Besuche von Geschäften beschrieben.
  • Diese Daten müssen durch Machine Learning schlau zusammengeführt und verknüpft werden. So kann eine (Echtzeit-) Simulation das Gesamterlebnis einer Kundin / eines Kunden erfassen und auf Basis (möglicher und tatsächlicher) Erfahrungen, Wünsche und Bedürfnisse optimieren.

Auch, wenn man das 3D-Abbild oder Modellierung der Kund:innen ausklammert und eine Datenzusammenführung und -interpretation anstrebt, ergeben sich Herausforderungen, denen man sich als Unternehmen stellen muss.

  • Als Verbraucher:innen und Konsument:innen kreieren wir eine Unmenge an Daten über unzählige Kontaktpunkte – ob physisch oder digital (Online- und Offline-Datenpunkte). Für ein virtuelles Kund:innen-Profil, inklusive Insights wie Produktpräferenzen, durchschnittlichen Ausgaben, Häufigkeit der Einkäufe, bevorzugte Einkaufskanäle, aber auch Abneigungen müssen alle Daten, auch aus unterschiedlichen Quellen, zusammengeführt und synchronisiert werden.
  • In Summe sind Verhaltensdaten, die durch die Customer-Journey erfasst werden, gewiss wertvoller als Stammdaten der Verbraucher:innen. Das macht es nochmal komplexer.

Entscheidet man sich im Marketing-Kommunikationsumfeld für einen digitalen Zwilling, muss sichergestellt werden, dass das einheitliche Profil einer Kundin/ eines Kunden robust genug ist, um die gesamte Beziehung zu einer Marke anhand von Daten, KI-Modellen und allgemeinem Kunden Know-how abzubilden (Datenqualität).

Gibt es eine Notwendigkeit eines Digitalen Zwillings im Marketing?

Auch mit größerer Relevanz im Medien- und Kommunikations-Markt wird es schwierig werden, Kund:innen gesamthaft von der Notwendigkeit eines digitalen Zwillings im Hinblick auf Konsum und Verbrauch zu überzeugen. Da dieser nur mit dem Einverständnis jeder einzelnen Kundin/ jedes einzelnen Kunden realisiert werden kann, bedarf es einer großen Aufgabe, die man als Unternehmen ernsthaft und transparent angehen muss.

Der Wert eines DtoC muss Kund:innen transparent vermittelt werden – nicht für sich selbst als Marke, schließlich geht es darum, den Nutzen, die Produkterfahrung der Kundschaft, zu verbessern.

Es muss glaubhaft und vertrauensvoll klar gemacht werden, dass nur Produkte und Dienstleistungen bereitgestellt werden, die zu diesem bestimmten Zeitpunkt von uns verlangt werden. Ebenso muss deutlich werden, dass sie einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigeren Produktion und zum ressourcenärmeren Wirtschaften leisten – mit dem langfristigen Ziel, Emissionen einzusparen. Dafür dürfen keine „Hintertüren“ für sensible Daten und deren (kommerziellen) Verbreitung geöffnet werden!

Fazit zum Digital Twin

Digitale Zwillinge ist ein Trend, der innerhalb einer Vielzahl von Branchen in seiner Relevanz stark variiert, sich aber dennoch viele Branchen stark beeinflusst. Noch symbolisiert er niedrige branchenübergreifende Relevanz, weckt aber bereits heute großen Diskussionsbedarf – mit offenem Ende.

Die Realisierung und Implementierung eines digitalen Zwillings – besonders im Marketingkontext – ist komplex und intensiv. Neben entsprechenden Teams und Fachwissen (Machine Learning, Wissen zur Generierung von synthetischen Daten oder Techniken der Simulation) das aufgebaut oder eingekauft werden muss, müssen Kosten / Ressource abgewogen sowie Datenschutz- und Sicherheitsbedenken sowie Ethik-Grundsätze geklärt werden. Besonders diese werden die Reifezeit von digitalen Zwillingen in Deutschland weiter verlängern. Fakt ist, dass digitale Zwillinge aus der Ferne zugänglicher sind als ihre physische Ausführung und damit ihre potenzielle Angriffsfläche für Cyberkriminalität verdoppeln.

Als Unternehmen muss man sich ein klares Bild darüber verschaffen, welche Daten gesammelt werden und wie gut die Basis hinsichtlich Datenqualität ist – vor allem mit dem Hintergrund, dass sich das Datenvolumen in wenigen Jahren verdoppeln wird. Erlauben Datenschutzbestimmungen nur eingeschränkten Zugriff oder treten neue Phänome auf, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht genügend Daten liefern, müssen flexible Methoden zur synthetischen Datengenerierung entwickelt oder mit entsprechenden Anbietenden kooperiert werden.

Besonders interessant wird es, wenn man digitale Zwillinge übereinanderlegt oder miteinander verbindet, so dass diese gemeinsam interagieren. Welche neuen Erkenntnisse werden gewonnen? Und von wem möchte ich als Unternehmen lernen? Hier lohnt sich der Blick ins Ausland und raus aus dem eher kritischen Deutschland. Besonders im Bereich Stadtentwicklung gibt es viele lobenswerte internationale Projekte, bei denen öffentlicher und privater Sektor beispielgebend eng zusammenarbeiten. Lassen Sie uns von diesen Akteur:innen lernen und am Ende hat es jede:r Einzelne von uns selbst in der Hand zu überlegen und entscheiden, unter welchen Bedingungen wir unsere Daten für einen digitalen Zwilling bereit sind freizugeben und welchen Zusatznutzen wir dafür mindestens fordern.