B21F6BB4-1C5E-4341-9402-72115F03EA26 28. Februar 2018

Mit dem Kunden auf Reisen

Der Konsument von heute ist aufgeklärter und daher auch mächtiger denn je. Das erfordert einen Perspektivwechsel in der Kommunikation: Marketingmaßnahmen sollten nicht mehr aus Marken- oder Produktsicht, sondern entlang der Customer Journey orchestriert werden.

Das Internet ist aus dem Alltag der Deutschen nicht mehr wegzudenken. Und es verändert das Mediennutzungs- und Informationsverhalten der Menschen enorm. Ein Umstand, der sich erstaunlicherweise aber noch nicht in den Mediaplänen widerspiegelt: Noch immer erhält das Fernsehen den Löwenanteil der Werbespendings, so flossen im vergangenen Jahr laut Nielsen von den insgesamt rund 32 Milliarden Euro Bruttowerbeaufwendungen allein 15,3 Milliarden Euro in TV. Auch das schon seit Jahren tot gesagte Print wird, nach den 8,7 Milliarden Euro Brutto-Werbeeinnahmen zu urteilen, offensichtlich noch als sehr lebendig angesehen.

Dabei hat das neue Mediennutzungsverhalten auch enorme Folgen für die Customer Journey – also die „Reise des Konsumenten“, die er vom ersten Kontakt mit einer Marke oder einem Produkt bis hin zum Kauf oder zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung und am besten noch darüber hinaus durchläuft. Vor dem digitalen Zeitalter verlief diese Reise noch relativ berechenbar und geradlinig: Der Kunde sah eine Werbung im TV oder in einem Magazin. Sein Interesse war geweckt, er ging in den Laden, ließ sich womöglich dort beraten und kaufte das Produkt. Ein Schritt baute mehr oder weniger auf dem anderen auf. 

Heute ist dank der Digitalisierung nicht nur die Zahl der potenziellen Touchpoints, der Berührungspunkte zwischen Verbrauchern und Marke, geradezu ins Unermessliche gestiegen. Zu den von Markenhand gesteuerten Kontakten kommen jetzt auch noch eine Reihe von scheinbar unkontrollierbaren Kundeninteraktionen hinzu, wie etwa durch den Erfahrungsaustausch in Social Media oder den Besuch von Bewertungsforen. Kurzum: Die Customer Journey ist mittlerweile zu einem wilden Trip mit verschlungenen Wegen und unvorhersehbaren Abzweigungen geworden.

Und es ist ein Trip, bei dem es auch immer wieder zu einer Art Rollentausch kommt: Der moderne Konsument wartet nicht mehr darauf, sich mit Werbung berieseln und von ihr leiten zu lassen. Stattdessen übernimmt er in weiten Teilen die Reiseleitung und bestimmt selbst, welche Route er zu seinem Ziel nimmt – also wann, wo und über welche Kanäle er mit einer Marke oder einem Unternehmen in Kontakt kommt und welche Inhalte er dabei konsumiert. „Die Customer Journey von heute switcht zwischen einer passiven Phase, bei der der Konsument etwas gezeigt bekommt, das für ihn Relevanz hat oder nicht, und einer aktiven Kommunikation, bei der er sich gezielt Informationen sucht“, sagt Wolfgang Bscheid, Geschäftsführer der Serviceplan-Tochter Mediascale.

Werbungtreibende stellt diese Entwicklung vor neue Herausforderungen. Sie haben es nun mit Verbrauchern zu tun, die aufgeklärter denn je sind und auch in Bezug auf die Kommunikation hohe Ansprüche stellen. Sie erwarten individuell auf sie und ihre Bedürfnisse zugeschnittene Kommunikationsinhalte. Der „One-Size-Fits-All“-Ansatz hat also ausgedient, die heterogenen Zielgruppen von heute sind kaum mehr mit der einen richtigen Botschaft auf dem einen richtigen Kanal zu erreichen. Vielmehr müssen Marken das Kunststück vollbringen, entsprechend der Rezeptionssituation mit der richtigen Botschaft zur richtigen Zeit am richtigen Ort beziehungsweise dem richtigen Kanal präsent zu sein. 

Diesen gestiegenen Ansprüchen können Werbungtreibende allerdings nur dann gerecht werden, wenn sie einen Perspektivwechsel vornehmen. Nicht mehr das Produkt oder die Marke schreiben die Orchestrierung eines Kommunikationsauftrittes vor, sondern der Konsument. „In allerletzter Konsequenz muss immer der Endkunde im Fokus stehen, den der Werbungtreibende mit seinen Messages erreichen will“, erklärt Richard Offermann, Senior Vice President Direct Sales bei Ströer. „Erst wenn man den Endkunden sehr gut versteht und weiß, in welcher Phase seines Kaufentscheidungsprozesses er sich wie verhält, erst dann kann eine Werbung wirklich gut und effizient ausgespielt werden.“

Für die Planung eines Werbeauftrittes bedeutet dies, dass nicht mehr in einzelnen Kanälen und Gattungen gedacht werden sollte, sondern daran, wie der User sich durchs Leben bewegt. „Dem Konsumenten ist im Zweifel gar nicht bewusst, wo er die Werbebotschaft ausgespielt bekommt“, fährt Offermann fort. „Letzten Endes ist es ihm egal, ob er sie auf dem Desktop, dem Smartphone oder auf einem Plakat sieht.“ Hauptsache, sie ist für ihn genau in dem Moment, in dem er sie sieht, von Relevanz.

Um ein möglichst umfassendes Bild von ihm zu erhalten, empfiehlt es sich, sich ihm von verschiedenen Seiten zu nähern. Auf seinen digitalen Spuren, die er bei jeder Interaktion im Web hinterlässt, lässt es sich bereits gut wandeln und so ist es auch – zumindest theoretisch – möglich, seinen Kaufprozess weitgehend zu erfassen. Aus der Analyse dieser Daten entstehen zum einen Learnings, wie die Einkaufsreise künftig für den Konsumenten mit optimierten Marketingmaßnahmen noch angenehmer gestaltet werden kann. Zum anderen kann mithilfe dieser Auswertungen ein Kundenverhalten antizipiert und in Echtzeit darauf eingegangen werden. 

Offline ist es allerdings wesentlich schwieriger, alle Touchpoints, die ein Kunde mit einer Marke hat, nachzuvollziehen. Möglich ist es, sagt Dimitrios Haratsis, CEO von Adclear, „wenn auch mit einer gewissen Unschärfe“. So kann beispielsweise analysiert werden, wie viel Prozent des Online-Traffics offline beeinflusst wurde. „Dafür legt man die Mediapläne der Offline-Maßnahmen zugrunde und vergleicht, ob es im Online-Shop zu dieser Zeit zu irgendwelchen Traffic-Anomalien, also Traffic-Peaks, gekommen ist“, so Haratsis weiter. Auf dieser Meta-Ebene kann also ein prozentualer Traffic-Anteil auf die Offline-Kanäle zurückgeführt werden. Der Automobilhersteller Ford wollte beispielsweise wissen, welchen Einfluss die verschiedenen Mediagattungen während einem Kampagnen-Flight auf die Website-Visits haben. Ein Modelling anhand einer ökonomischen Regressionsanalyse ergab, dass 9,1 Prozent der Website-Visits in den Flighting-Zeiträumen von Ford auf das Medium Out-of-Home zurückzuführen waren. Auch beim plakativen Auftritt der Modemarke Calzedonia kam es jeweils unmittelbar nach dem Start der Out-of-Home-Flights zu einer deutlichen Zunahme der Search-Anfragen auf Google.

Eine weitere Gelegenheit, die Offline-Touchpoints zu erfassen, ergibt sich beispielsweise aus dem „Clubkartenmodell“. „Wenn eine Kundenkarte am POS vorgezeigt wird und gleichzeitig auch online hinterlegt ist, gelingt an dieser Stelle ein Matching,“ erklärt Frank Rauchfuß, CEO von IntelliAd. Schließlich gibt es mittlerweile auch physikalische Lösungen, mit denen die Digitalisierung auch im realen Raum Einzug gehalten hat. Dazu gehören unter anderem Beacons, kleine Sender, die über Bluetooth mit den Smartphones in der Umgebung in Verbindung treten und dabei auch – selbstverständlich anonymisiert – die Bewegungsmuster der Konsumenten erfassen können. Ebenso ist es möglich, Geo-Daten über ein Smartphone-Tracking zu generieren. 

Alles in Allem ist die Datenlage im Offline-Bereich aber noch reichlich dünn. Umso wichtiger ist es daher, all diese gewonnenen Messdaten mit den Erkenntnissen aus der Marktforschung zu kombinieren und in einem zur Zielgruppe passenden Customer Journey-Modell „in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen“, rät Dirk Engel, unabhängiger Markt- und Medienforscher. Mit so einem Customer-Journey-Modell, das den Kaufentscheidungsprozess in verschiedene Phasen einteilt, „kann man identifizieren, welche Botschaften und Informationen zu welchem Zeitpunkt wichtig sind, um den Kunden Orientierung zu bieten.“ Und diese Orientierung ist auch nötig, damit eine hoffnungsfroh begonnene Reise aus Markensicht auch glücklich ans Ziel führt und aus Kundensicht nicht als chaotischer Höllentrip in Erinnerung bleibt.