22. Februar 2018
„Für mich kommt nur ein Mercedes infrage. Schon meine Eltern haben nur dieser Marke vertraut, und mir geht es genauso.“ Solche Aussagen bekommt der Stuttgarter Autobauer – wie wohl alle anderen Fahrzeughersteller auch – immer seltener zu hören. Denn wie die Studie „Customer Journey im Autokauf“ von Autoscout24 und dem Marktforschungsinstitut Puls im Herbst 2017 ergab, ist Markentreue in der Automobilbranche ein Auslaufmodell. Demnach fällt die Entscheidung für Marke und Modell selbst beim Erwerb eines Neuwagens, wo gemeinhin höhere Investitionssummen im Spiel sind, wesentlich kurzfristiger als allgemein vermutet: Zehn bis zwölf Wochen vor dem Autokauf sind sich erst 40 Prozent der Konsumenten sicher, was sie wollen. Drei Wochen vorher sind es immer noch erst 65 Prozent. Eine Woche vor Vertragsschluss steht bei immerhin 90 Prozent der Entschluss fest. Aus Sicht der Hersteller und Händler kann diese mangelnde Markentreue aber auch von Vorteil sein: Sie haben dadurch länger Zeit, die jeweiligen Kaufentscheidungen durch Werbung und Produktinformationen zu beeinflussen.
Dafür müssen sie aber auch mit der richtigen Botschaft zur richtigen Zeit an den richtigen Ort präsent sein – kurzum: Ihnen muss es gelingen, ihre potenziellen Käufer während ihrer Customer Journey, also ihrer Reise von der ersten Bedarfserkennung bis hin zum Kauf und auch noch darüber hinaus, zu begleiten und sie bestenfalls dabei auch noch ein großes Stück des Weges zu leiten. Dafür ist aber ein neuer Ansatz in der Mediaplanung notwendig. Bei der bislang üblichen, Umfeld-basierten Planung kennt man zwar die zu adressierende Zielgruppe und die Umfelder, in denen diese sich bewegt. „Dabei wird aber nicht berücksichtigt, in welchen Entscheidungsprozessen, in welchem Funnel-Step oder in welchen Kontexten der User sich gerade befindet“, erklärt Marco Schierhorn, Managing Partner Marketing Technology bei der Omnicom Media Group Germany. „Bei der Customer Journey-Betrachtung wissen wir hingegen, in welchem Touchpoint der User gerade Kontakt mit der Kampagne hatte, in welchem Kontext er sich befindet und – aufgrund der Historie in der Customer Journey – mit welchen Themen er sich vielleicht aktuell beschäftigt.“ Die Folge ist eine zielgerichtete Werbe-Ansprache, die den Konsumenten nämlich genau in dem Moment erreicht, wenn die Botschaft für ihn auch relevant ist. „Derzeit bewegen wir uns von einer Massenkommunikation zu einer Massenpersonalisierung“, so Schierhorn weiter.
Die Herausforderung für die Media-Strategen ist: Die eine Customer Journey, die für ein Produkt und eine Zielgruppe erfolgreich ist, gibt es nicht. Stattdessen durchläuft jeder Konsument seine hoch individualisierte Reise, bei der er unterschiedliche Medien mit unterschiedlichen Endgeräten und in unterschiedlichen Situationen nutzt. Wann und wo er auf seinem Weg zum Kauf Station einlegt, bestimmt der Konsument. Die Werbungtreibenden können die Route im Vorfeld allenfalls vage skizzieren und müssen diese in ihrem Verlauf individuell und mithilfe von Analysetools anpassen.
Wie das im konkreten Fall aussehen könnte, lässt sich erneut am Beispiel des Neuwagenkaufs aufzeigen: So hat die Studie von Autoscout24 zudem ergeben, dass zwar sowohl die Händler als auch das Internet wichtige Informationsquellen sind – das aber zu völlig unterschiedlichen Phasen innerhalb des Kaufentscheidungsprozesses. Laut der Befragung ziehen viele Käufer gerade zu Beginn der Suche nach einem Auto die Herstellerwebsites zu Rate. Ebenso kommen am Anfang Suchmaschinen gehäuft zum Einsatz. Online-Autobörsen werden während des gesamten Prozesses intensiv besucht und unterstützen bei der Entscheidungsfindung. Die Händlerwebsites, reine Bewertungsseiten und Online-Fachmedien scheinen dagegen seltener eine nützliche Orientierungshilfe zu sein. Dafür spielen die Händler schließlich offline die entscheidende Rolle: Denn die Absicherung der Kaufentscheidung erfolgt vor Ort im Autohaus, und dabei wird die Beratung durch den Händler als besonders hilfreich empfunden. Und so manche Probefahrt hat die Suche nach einem Wagen wieder von Neuem beginnen lassen.
Damit wäre ein grober Fahrplan für die Kommunikation einer Herstellermarke schon mal vorgegeben. Wann, wo und wie die einzelnen Customer Journeys sowohl technisch und als inhaltlich im Detail verlaufen, erweist sich letztendlich erst in der tatsächlichen Umsetzung. Äußerst interessant ist dabei vor allem die Frage, wie ein Kunde in den „Funnel“ kommt, also was bei ihm die jeweilige Kaufabsicht auslöst. Da wäre etwa Kunde A, der in ein paar Monaten Nachwuchs erwartet und ein größeres Fahrzeug braucht. Er startet seine Suche nach einem geeigneten Modell in aller Ruhe nach Feierabend am heimatlichen PC. Aber auch in der Arbeit nutzt er gern die Pausen, um sich weiter zu erkundigen. Kunde B, der schon immer von einem Cabrio träumt, wird eines morgens auf dem Weg zum Job durch ein Plakat dazu angeregt, sich mithilfe seines mobilen Devices nach einem solchen Fahrzeug umzusehen. Ohne konkrete Kaufabsicht stöbert er so immer wieder mal von seinem Tablet, mal vom Smartphone aus in diversen Portalen herum. Kunde C wiederum benötigt dringend ein neues Auto und hat auch bereits eine konkrete Vorstellung von Fahrzeugtyp und Farbe. Nachdem er einige Herstellerseiten besucht hat, checkt er nun die Preislage auf verschiedenen Online-Autobörsen.
Alle drei Kunden sind digital unterwegs, dennoch unterscheiden sich ihre Customer Journeys hinsichtlich der besuchten Seiten sowie der Informationstiefe. Erschwerend kommt hinzu, dass sie – wie viele Konsumenten heutzutage – auf mehreren Endgeräten unterwegs sind. Hier ist die Gefahr doch recht groß, sie in ihrer Kontaktkette irgendwann zu verlieren, so liegt die Wiedererkennungsrate beim Cross-Device-Tracking derzeit bei 30 bis 40 Prozent. Wird der User trotz Gerätewechsel schließlich wiedererkannt, muss darauf geachtet werden, dass er die zur Rezeptionssituation passende Kommunikation erhält. Wer sich mit seinem Smartphone in der Nähe eines Autohauses befindet, freut sich vielleicht über eine in diesem Moment auf seinem Display aufpoppende Einladung für eine Probefahrt mit genau dem Modell, das er sich kürzlich online angesehen hat. Die technischen Voraussetzungen wie Geotargeting sind dafür zumindest schon gegeben.
Nun sind die seltensten Konsumenten ausschließlich im digitalen Raum unterwegs. Das heißt, zur modernen Mediennutzung gehören nach wie vor auch klassische Kanäle wie TV, Print oder Out-of-Home, die entsprechend ebenso in die ganzheitliche Customer Journey-Planung integriert werden müssen. Theoretisch existieren auch in der Offline-Welt bereits Tracking-Systeme, beispielsweise indem die Konsumenten mithilfe von CRM-Maßnahmen wie Kundenkarten erfasst werden. Ebenso können über Beacons, WLAN- und GPS-Tracking die Standorte und Bewegungsdaten der User ermittelt werden, die wiederum mit bestimmten Point of Interests wie Bahnhof oder Universität, in denen sich der User befunden hat, oder den Standortdaten von Out-of-Home-Medienträgern gematcht werden. Im Bereich des Fernsehens erlaubt das noch in der Verbreitung befindliche Adressable TV zumindest eine regionale Aussteuerung der TV-Spots. Auch mit Second Screen – der gleichzeitigen Nutzung eines mobilen Devices neben dem Fernseher – wurden schon erste Kampagnenversuche durchgeführt. „Alles in Allem sind die Ergebnisse hier aber noch ziemlich überschaubar“, findet Wolfgang Bscheid, Geschäftsführer von Mediascale. „Bislang bringt man die Online- und die Offline-Welt vor allem konzeptionell und unter Einbeziehung von Markt-Media-Studien zusammen.“
Entscheidend bei der Customer Journey-Planung sind neben den richtigen Touchpoints aber auch die Botschaften, die transportiert werden. So erwarten die in der Regel gut informierten und entsprechend anspruchsvollen Konsumenten von heute auch die zu den jeweiligen Situationen und Bedürfnissen passenden Inhalte. „Aus der Konsumentensicht ist die Customer Journey ja eine Aufgabenstellung, bei der er sukzessive eine Entscheidung nach der anderen treffen muss, und je nach Entscheidung benötigt er bestimmte Informationen“, sagt Bscheid. „Daher haben wir schon früh festgestellt, dass Konsumenten auf dem Weg auf unterschiedliche Botschaften unterschiedlich stark reagieren.“ Für das Beispiel des Autokaufs hieße dies: Sobald sich abzeichnet, dass Kunde C sich bereits für einen roten SUV entschieden hat und er nur in Bezug auf die Innenausstattung noch unentschlossen ist, wäre es wenig sinnvoll, ihm an diesem Punkt seines Kaufentscheidungsprozesses noch verschiedene Modelle in unterschiedlichen Farben zu präsentieren. „Im besten Falle sollte ihm in diesem Stadium im Werbemittel bereits ein rotes Fahrzeug mit unterschiedlichen Ausstattungsvarianten gezeigt werden“, sagt Richard Offermann, Senior Vice President Direct Sales bei Ströer. „Dann würde nämlich das Idealszenario eintreten, nämlich dass dem Nutzer mit der Werbung sogar geholfen wird.“