B21F6BB4-1C5E-4341-9402-72115F03EA26 21. August 2025

Website-Traffic bricht ein: Wie KI-Suchmaschinen das Internet verändern

Zum Fast-Abschluss unserer Serie „Mensch & KI“ richten wir den Blick auf das große Ganze: Was passiert mit unseren digitalen Ökosystemen, wenn KI nicht mehr nur ein Werkzeug ist, sondern zur Instanz der Orientierung wird?

Der Traffic sinkt, die Rankings stimmen noch – aber die Nutzer kommen nicht mehr? Was nach einem technischen Fehler klingt, ist die neue Realität des Internets. KI-Suchmaschinen und LLMs verändern gerade alles.

KI-Suche essen Website-Traffic auf

Gut zu wissen

Crawler sind automatisierte Programme, die das Internet durchsuchen, um Webseiteninhalte systematisch zu erfassen und auszuwerten. Sie werden von Suchmaschinen eingesetzt, um Seiten für den Index vorzubereiten, aber auch von KI-Systemen, um Inhalte für das Training oder zur Beantwortung von Anfragen zu analysieren. Webseitenbetreiber können steuern, welche Bereiche einer Seite von Crawlern gelesen werden dürfen – etwa über die Dateien robots.txt oder llms.txt.

Es beginnt unscheinbar. In der Analyse stehen dieselben Dashboards wie immer: grüne und rote Balken, Prozentwerte, Trends zur Vorwoche. Die Rankings bleiben stabil, der Indexierungsstatus sieht sauber aus – und trotzdem bricht der Traffic ein. Kein Algorithmus-Update, keine Penalty. Die Antwort steht direkt auf der Ergebnisseite, oft formuliert von einer KI. Was wie Komfort wirkt, verändert das Web an seiner Wurzel.

Wie in Fassbinders Angst essen Seele auf frisst sich heute ein neues System durch die Oberfläche: Künstliche Intelligenz entzieht Webseiten ihre Sichtbarkeit – langsam, leise, lückenlos. Der Übergang von der Linkliste zur Antwortbox lässt sich messen. Gartner erwartet bis 2026 einen Rückgang des klassischen Suchvolumens um 25%. Schon heute enden in den USA 58,5% der Google-Suchen ohne Klick auf eine externe Seite – ein Phänomen, das als Zero-Click-Rate bezeichnet wird.

Auch das Verhalten am Ergebnisbildschirm verändert sich spürbar. Wenn Google eine AI-Übersicht anzeigt, klicken Nutzer deutlich seltener auf externe Links. Das Pew Research Center dokumentiert eine Klickrate von 8% bei AI-Übersichten gegenüber 15% bei klassischen Suchergebnisseiten – nur etwa 1% der Klicks erfolgt direkt aus der Übersicht.

Diese Zahlen wirken abstrakt, bis sie den Alltag erreichen. Nutzer formulieren heute vollständige Probleme statt kurzer Schlagwörter. Sie erwarten eine Empfehlung, nicht nur eine Ergebnisliste. Der Klick verliert Bedeutung, weil die Antwort bereits da ist.

Wenn die Klicks verschwinden – ökonomische Folgen

Für Publisher und Plattformen bleibt das kein Randthema. Chegg meldete nach Einführung der AI-Übersichten spürbare Einbrüche beim Non-Subscriber-Traffic und beim Umsatz und zog juristische Konsequenzen

Reddit und Stack Overflow erleben ähnliche Transformationen. Reddit droht der Verlust von signifikantem Google-Traffic nach Einführung der KI-Übersichten, während Stack Overflow einen dramatischen Rückgang der Nutzerfragen verzeichnete – die Plattform, die jahrelang das Herzstück der Entwickler-Community war, sieht zu, wie ihre Inhalte in KI-Antworten verschwinden, ohne dass Nutzer die Quelle besuchen.

Im Nachrichtenbereich beschreiben Redaktionen einen abrupten Rückgang der Sichtbarkeit, sobald Antworten die SERPs dominieren. Eine britische Untersuchung berichtet von Einbrüchen bis zu 80% bei einzelnen Themenclustern.
 

Mehr Tiefe statt mehr Klicks – ein neuer Funnel entsteht

Gleichzeitig entstehen neue Muster. Besucher, die über Antworten großer Sprachmodelle auf eine Seite kommen, konvertieren häufiger, weil sie vorqualifiziert erscheinen. Eine Analyse spricht von einem 4,4-fachen Anstieg der Conversion-Wahrscheinlichkeit.

Dieses neue Muster verändert jedoch die gesamte Customer Journey. Der klassische Funnel mit seinen Touchpoints – Awareness, Consideration, Decision – schrumpft. Für Marken heißt das: Sichtbarkeit muss nicht nur in den Suchergebnissen, sondern direkt in den Antworttexten der KI stattfinden.

Die unsichtbaren Leser: KI-Crawler im Web

Damit Inhalte in Antworten von ChatGPT, Perplexity oder Claude auftauchen, müssen automatisierte Programme – sogenannte Crawler – die Seiten lesen und Systeme sie verarbeiten. 2024 und 2025 rollt eine neue Crawler-Welle durchs Netz: GPTBot, CCBot, PerplexityBot und weitere spezialisierte Agenten. Viele Betreiber merken das zuerst in den Logfiles.

Der Umgang damit bleibt umstritten. Wikipedia, Reddit oder Stack Overflow setzen auf Gebührenmodelle und Programmierschnittstellen mit Zugangslizenzen, um unkontrolliertes Training zu begrenzen.

Infrastrukturanbieter reagieren ebenfalls. Cloudflare stellte 2025 das Konzept eines „AI Labyrinth“ vor: Bots landen in endlosen, generierten Pfaden, statt produktive Inhalte zu kopieren.
 

Wie KI-Crawler das Web sehen – und was sie übersehen

Viele KI-Crawler verstehen keine interaktiven Webseiten-Elemente, die in der Programmiersprache JavaScript erstellt wurden. Inhalte, die erst clientseitig erscheinen, bleiben unsichtbar. Einseitige Web-Anwendungen ohne serverseitige Darstellung, endlos scrollende Seiten und dynamische Kataloge bleiben problematisch.

Für Unternehmen bedeutet das: Sichtbarkeit in KI-Antworten beginnt mit sauber ausgeliefertem HTML. Serverseitige Darstellung oder die Erstellung statischer Websites legen die Basis, strukturierte Daten ergänzen die Semantik.

Das neue Machtgefüge

Gut zu wissen

SERPs (Search Engine Results Pages): Die Ergebnisseiten von Suchmaschinen, auf denen nach einer Suchanfrage relevante Websites, Anzeigen und andere Inhalte angezeigt werden. Moderne SERPs enthalten oft auch direkte Antworten, Bilder und andere Elemente.

Server-Side Rendering (SSR): Eine Technik zur Webseitenerstellung, bei der die HTML-Inhalte bereits auf dem Server vollständig generiert werden, bevor sie an den Browser gesendet werden. Dies macht Inhalte für Crawler und KI-Systeme sofort lesbar.

Früher optimierten Publisher für Keywords, heute zählt Relevanz im Gesprächskontext. Welche Quelle eine Antwort nennt, entscheiden Modelle nach Autorität, Klarheit und Struktur – und nach geschäftlichen Vereinbarungen. Einige Häuser verhandeln Lizenzen, andere setzen auf technische Barrieren. Beides zeigt: Sichtbarkeit wird neu verhandelt.

Das erzeugt neue strategische Spannungen. Für viele Websites bedeutet das: Sichtbarkeit ist nicht mehr primär eine Frage von Keywords, sondern von Prompt-Relevanz. Der Kontext einer Frage kann darüber entscheiden, ob eine Quelle genannt wird oder ob ihr Inhalt in einer „autorlosen“ KI-Antwort verschwindet.

Nutzerkomfort und seine blinden Flecken

Für Menschen wirkt der Wandel angenehm: weniger Tab-Wechsel, schnellere Orientierung. Doch der Komfort kostet Transparenz. Nur ein kleiner Teil sucht gezielt nach Originalquellen innerhalb von AI-Boxen. Der Rest vertraut der zusammengefassten Antwort – und verliert damit oft den Bezug zu journalistischer Arbeit, methodischen Details oder Originaldaten.

Wohin steuert das Web?

Drei Pfade zeichnen sich ab:

  • Konsolidierung – wenige große Anbieter dominieren, Lizenzen regeln den Datenfluss.
  • Offenes Ökosystem – dezentrale Modelle und offene Korpora halten Vielfalt lebendig.
  • Hybride Modelle – bevorzugte Quellen erhalten prominente Verlinkungen in Antworten.

In allen Fällen zählt, ob der Wert journalistischer und fachlicher Arbeit sichtbar bleibt.

Ausblick und Haltung

Infrastrukturanbieter suchen nach neuen Gleichgewichten. Cloudflare spricht offen über Bezahlmodelle pro Abruf und warnt vor einer Erosion des alten Tauschgeschäfts „Inhalte gegen Traffic“.

Für Unternehmen ergibt sich daraus keine einfache Checkliste, sondern ein doppelter Auftrag: technisch verlässlich ausliefern und inhaltlich als zitierfähige Instanz auftreten. Wer so arbeitet, bleibt auch dann relevant, wenn der Klick nur noch der letzte, nicht der erste Schritt ist.

Der Wandel von der Suchmaschine zur Antwortmaschine ist kein technologischer Nebeneffekt, sondern ein Paradigmenwechsel. Er verändert, wie Nutzer Informationen finden, wie Unternehmen Reichweite aufbauen – und wie Inhalte im Netz zirkulieren.

Die Gewinner dieser Transformation haben drei Dinge gemeinsam: direkte Kundenbeziehungen, einzigartige Inhalte und technische KI-Readiness. Die Tools dafür existieren, die Strategien sind erprobt. Wer jetzt handelt, kann gestärkt aus dem Wandel hervorgehen. Denn die Frage ist nicht mehr, ob sich das Internet verändert – sondern nur, ob Sie den Wandel mitgestalten oder von ihm überrollt werden.