30. Oktober 2019
Die Tage des Homo oeconomicus sind gezählt. Er entscheidet rein rational und stellt einzig die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit seiner Wahl in den Fokus. In der Praxis bedeutet dies: Liegen einem Konsumenten mehrere Angebote vor, entspricht seine Wahl immer dem, was ihm den größten Nutzen bringt.
In der Realität entscheiden wir meist sehr impulsiv und nur wenig rational. Diese Verhaltensweisen weiter zu erforschen, hat sich die „Verhaltensökonomik“ oder auch „Behavioral Economics“ auf die Fahne geschrieben.
Eine grundlegende Erkenntnis der Behavioral Economics ist, dass schätzungsweise 70 bis 90 Prozent unserer Entscheidungen unterbewusst getroffen werden. Daniel Kahnemann erkennt dies schon früh und prägt die Verhaltensökonomik nachhaltig mit der Unterteilung des Bewusstseins in System 1 und System 2. Unter System 1 verstehen wir unseren Autopiloten: nahezu alle alltäglichen Handlungen, vom Zähne putzen bis hin zum Schuhe binden, werden hier gesteuert. Würden wir über diese Dinge bewusst nachdenken, wäre unser Gehirn sehr schnell überfordert. Ein kleiner Selbsttest: Denken Sie einmal aktiv darüber nach, dass Sie atmen. Bringt einen ziemlichen aus dem Konzept oder? Auch Kaufentscheidungen von geringer Bedeutung werden mit dem System 1 getroffen. Wir müssen nicht groß darüber nachdenken, ob wir uns einen Kaffee to Go holen und greifen im Supermarkt fast automatisch nach präferierten Shampoo- oder Zahnpasta Marken.
Grundsätzlich funktioniert dieses System also sehr gut. Es ist allerdings auch sehr anfällig für unterschwellige Botschaften. Dies macht sich der Marketeer gerne zu Nutze.
Werbung wird von System 1 über verschiedene Kanäle unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Zahlreiche Studien belegen zum Beispiel, dass Außenwerbung einen großen Effekt auf unterbewusste Kaufentscheidungen hat. Anders als z.B. Direct Mailings, verschmilzt Plakatwerbung mit Ihrem Umfeld und wird von System 1 nicht als störend empfunden.
Die klassische Gegenthese lautet hier: „Da fährt man ja nur vorbei, das nimmt man ja gar nicht wahr“. Das ist in der Theorie richtig. Laut Georg Schotten, Director Research bei Ströer, lassen wir allerdings außer Acht, dass Eindrücke, die nicht bewusst kritisch betrachtet werden, auch innerlich nicht abgelehnt werden können. So lang System 2 nicht „aufgeweckt“ wird, wird die Werbebotschaft neutral bis positiv aufgenommen und im Unterbewusstsein gespeichert. Ein klarer Wirkvorteil für Out-of-Home-Werbung.
Betrachten wir nun allerdings Kaufentscheidungen, die eine höhere emotionale Beteiligung erfordern (so genannte „High-Involvement Produkte“), kommt System 2 zum Einsatz. Beispiele wären der Kauf einer Eigentumswohnung oder das Abschließen einer Versicherung. Verglichen mit System 1, erinnern die Entscheidungsprozesse von System 2 sehr viel stärker an den ursprünglichen Gedanken des Homo oeconomicus. Rationale Gesichtspunkte haben hier ein viel stärkeres Gewicht und der Entscheidungsprozess (und der damit verbundene kognitive Aufwand) ist deutlich umfangreicher.
In der Regel wird der Werbetreibende versuchen, das einfacher zu überzeugende System 1 anzusprechen. Hier reicht oft schon die richtige Platzierung im Regal oder Werbung im passenden emotionalen Kontext. In seltenen Fällen lohnt sich jedoch auch der Versuch, System 2 aufzuwecken. Ein Case wäre z.B., wenn das eigene Produkt logisch betrachtet die beste Wahl ist, andere Advertiser aber „lauter“ kommunizieren. Auch bei Produkten, die sehr komplex oder hochpreisig sind, macht es Sinn, den Konsumenten auf die Bahn des bewussten Entscheidens zu leiten. Der einfachste Weg System 2 aufzuwecken ist, es mit einem Überraschungsmoment zu konfrontieren, es zum Beispiel vor eine Entscheidung zu stellen. Gleichzeitig muss die zu treffende Entscheidung so einfach wie möglich gestaltet werden, damit System 2 zwar aktiv ist, aber nicht direkt ermüdet.
Wichtig an dieser Stelle: Die beiden Systeme agieren nicht unabhängig voneinander. Oft benutzen wir zum Beispiel unser logisch denkendes System 2, um Entscheidungen zu rechtfertigen, die das impulsive System 1 getroffen hat.
Das eben beschrieben Phänomen der Post-Rationalisierung ist ein Beispiel einer Vielzahl an „gedanklichen Abkürzungen“, an denen sich unser Gehirn bedient. So genannten Heuristiken.
Einer der bekanntesten Vertreter ist der Framing Effekt. Dahinter steckt das Phänomen, dass ein und dieselbe Botschaft bei unterschiedlicher Darstellung (bzw. in unterschiedlichem Rahmen) eine andere Wirkung hat. Ein klassisches Beispiel für einen solchen „Frame“ ist tatsächlich eine Marke selbst. Jeder hat sicher schon mal von dem in 2004 durchgeführten Coca Cola/Pepsi Geschmackstest gehört, bei dem die Limonaden unter anderem blind verkostet wurden. Je nachdem, ob der Proband wusste, welche Marke er trank, bewertete er den Geschmack stark unterschiedlich.
Weitere weit verbreitete Heuristiken:
Abschließend kann man über das Thema Verhaltensökonomik denken, was man möchte – sie schafft eine neue Herangehensweise an den Konsumenten. Verknüpft mit bekannten Marketing Methoden, lassen sich Synergieeffekte erzielen und Kampagnen können noch effizienter ausgespielt werden. Auch wenn wir die Irrationalität des Konsumenten nicht beeinflussen können, hilft uns Behavioral Economics zumindest dabei, sie vorherzusagen. Kleine Handgriffe machen hier oftmals einen großen Unterschied.