17. Oktober 2024
Vor kurzem haben wir unser Crossroads Essay „The Future of Decentralized Web“ veröffentlicht. Was wir über das dezentrale Web wissen und welche Auswirkungen es in den nächsten 10 Jahren auf den deutschen Medien- und Kommunikationsmarkt haben wird. Mit unserer Interviewreihe möchten wir euch spannende Insights aus unseren Experteninterviews geben und machen weiter mit Simon Graff, Gründer von FOR REAL?!
Simon Graff ist Experte für neue Technologien wie generative KI, Spatial Computing und das Metaverse. Als Berater und Stratege hilft er Kunden, den Paradigmenwechsel, der durch diese Technologien ausgelöst wird, zu bewältigen. Seit 2014 hat er in verschiedenen Positionen Erfahrungen gesammelt, darunter als Creative Technologist, Head of Immersive Media und Director of Innovation, bevor er 2021 seine eigene Strategieberatung FOR REAL?! gründete. Seine Leidenschaft ist es, sein Wissen und seine Erfahrung mit innovativen Technologien durch Vorträge, Beiräte und Mentoring-Programme weiterzugeben. Außerdem ist er seit 2019 Präsident des Hamburger XR-Verbands nextReality e.V.
In einer Welt, die zunehmend digital wird, gewinnen virtuelle Räume und Identitäten immer mehr an Bedeutung. „Avatar Worlds“ – plattformbasierte, virtuelle 3D-Welten – versprechen ein erweitertes Interneterlebnis mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Doch wie weit sind wir tatsächlich auf diesem Weg? Welche Chancen und Herausforderungen bringen diese neuen digitalen Realitäten mit sich?
Die Entwicklung von Avatar Worlds befindet sich in einer faszinierenden Phase, geprägt von beeindruckenden technologischen Fortschritten einerseits und dem Ringen um breite Akzeptanz andererseits. Plattformen wie Roblox haben bereits eine beachtliche Nutzungsbasis aufgebaut und zeigen das immense Potenzial dieser virtuellen Welten. Mit täglich über 70 Millionen aktiven Nutzenden demonstriert Roblox eindrucksvoll, wie Avatar Worlds Menschen verbinden und kreatives Potenzial freisetzen können.
Dennoch stehen wir erst am Anfang dieser Entwicklung. Die Technologie ist zwar fortgeschritten, aber noch weit von ihrem vollen Potenzial entfernt. Herausforderungen wie die Notwendigkeit spezieller Hardware (z.B. VR-Brillen) oder die oft noch unzureichende Grafikqualität bremsen die breite Adoption. Zudem kämpfen viele Plattformen noch damit, überzeugende Inhalte und Anwendungsfälle zu liefern, die über den reinen Neuheitsfaktor hinausgehen.
Interessanterweise zeigt sich eine Diskrepanz zwischen dem technologischen Fortschritt und der tatsächlichen Nutzung. Während die Entwicklungsreife der Technologie schon recht weit fortgeschritten ist, hinken Implementierung in Unternehmen und Verbraucherakzeptanz oft noch hinterher. Dies deutet darauf hin, dass die größten Herausforderungen weniger technischer Natur sind, sondern eher in der Schaffung überzeugender Anwendungsfälle und der Überwindung von Akzeptanzbarrieren liegen.
Die aktuellen Grenzen von Avatar Worlds sind vielfältig und reichen von technischen Hürden bis hin zu gesellschaftlichen und regulatorischen Herausforderungen. Neben den bereits erwähnten Hardware-Anforderungen und Grafikbeschränkungen gibt es auch Probleme mit der Latenz, der Rechenleistung und der Skalierbarkeit großer virtueller Umgebungen. Diese technischen Limitationen beeinträchtigen oft die Immersion und das Nutzererlebnis.
Regulatorische Fragen, insbesondere im Bereich Datenschutz, Online-Sicherheit und geistiges Eigentum, sind ebenfalls noch nicht vollständig geklärt. Wie schützen wir die Privatsphäre von Nutzenden in einer Welt, in der jede Interaktion potenziell aufgezeichnet und analysiert werden kann? Wie gehen wir mit virtuellen Gütern und deren Besitzrechten um? Diese Fragen müssen beantwortet werden, um ein sicheres und faires Umfeld in Avatar Worlds zu schaffen.
Eine vollständig entwickelte Form von Avatar Worlds könnte jedoch bahnbrechend sein und unser Leben in vielfältiger Weise bereichern. Hier ein Szenario, in der die Grenzen zwischen physischer und virtueller Realität verschwimmen: Virtuelle Büros und Meetingräume könnten so realistisch sein, dass sie physische Präsenz nahezu perfekt simulieren. Teams könnten unabhängig von ihrem Standort zusammenarbeiten, als wären sie im selben Raum. Im Bildungsbereich könnten immersive Lernumgebungen geschaffen werden, in denen Studierende die Rekreation historischer Ereignisse hautnah erleben, komplexe wissenschaftliche Konzepte visualisieren oder gefahrlos in simulierten Umgebungen trainieren können.
Im Bereich Entertainment und Soziales könnten Konzerte, Sportveranstaltungen und soziale Zusammenkünfte die Grenzen der physischen Welt sprengen. Neben der eigenen Lieblings-Band auf der Bühne stehen oder ein Fußballspiel aus der Perspektive des Teams verfolgen ist keine abgedrehte Zukunftsmusik mehr, sondern wird greifbare Realität. Der Handel und die Wirtschaft könnten durch virtuelle Marktplätze und Showrooms revolutioniert werden, in denen Kund:innen Produkte in 3D erkunden und testen können, bevor sie einen Kauf tätigen. Dies könnte zu völlig neuen Umsatzpotenzialen im virtuellen Raum führen.
Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, müssen Avatar Worlds nahtlos in unseren Alltag integriert werden. Sie sollten intuitiv bedienbar, allgegenwärtig zugänglich und so immersiv sein, dass der Übergang zwischen realer und virtueller Welt fließend wird. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass diese Welten inklusiv, sicher und ethisch gestaltet sind, um negative Auswirkungen wie Sucht oder soziale Isolation zu vermeiden.
Die Reaktionen deutscher Verbraucher:innen auf Avatar Worlds sind derzeit noch gemischt und spiegeln eine gewisse Zurückhaltung wider, die für neue Technologien nicht ungewöhnlich ist. Während jüngere Generationen, insbesondere die sogenannten „Digital Natives“, häufig offener und begeisterter auf diese neuen virtuellen Welten reagieren, zeigen sich ältere Zielgruppen zumeist skeptischer.
Diese Skepsis hat verschiedene Gründe: Viele Menschen, insbesondere ältere Generationen, haben wenig bis keine Erfahrung mit virtuellen Welten oder fortschrittlichen digitalen Technologien. Dies kann zu Unsicherheit und Zurückhaltung führen. Oft ist für Verbraucher:innen auch nicht unmittelbar ersichtlich, welchen konkreten Mehrwert Avatar Worlds in ihrem täglichen Leben bieten können. Die Notwendigkeit spezieller Hardware wie VR-Brillen stellt für viele eine Einstiegshürde dar, sowohl finanziell als auch in Bezug auf die Bedienung.
In einer Zeit, in der Datenschutz ein heißes Thema ist, sorgen sich viele Verbraucher zudem um ihre Privatsphäre und die Sicherheit ihrer Daten in virtuellen Umgebungen. Auch Bedenken bezüglich einer möglichen Entfremdung von der "realen" Welt und sozialer Isolation spielen eine Rolle bei der Zurückhaltung mancher Verbraucher:innen.
Trotz dieser Herausforderungen gibt es Grund zur Annahme, dass die Akzeptanz von Avatar Worlds in Zukunft steigen wird. Mit dem Heranwachsen jüngerer, technikaffiner Generationen wird die allgemeine Offenheit gegenüber virtuellen Welten zunehmen. Technologische Verbesserungen in Bereichen wie Grafikqualität, Benutzerfreundlichkeit und Zugänglichkeit werden die Einstiegshürden senken und das Nutzungserlebnis verbessern. Die Entwicklung nützlicher und unterhaltsamer Anwendungen in Bereichen wie Arbeit, Bildung und Unterhaltung wird den wahrgenommenen Mehrwert steigen lassen.
Gesellschaftliche Veränderungen, wie wir sie beispielsweise während der COVID-19-Pandemie erlebt haben, haben gezeigt, wie wichtig virtuelle Interaktionsmöglichkeiten sein können. Solche Erfahrungen könnten die Offenheit für Avatar Worlds erhöhen. Auch die schrittweise Integration von Avatar-Elementen in beliebte Social-Media-Plattformen könnte zu einer sanfteren Einführung und höheren Akzeptanz führen.
Für eine breite Akzeptanz in Deutschland und darüber hinaus wird es entscheidend sein, niedrigschwellige Zugangsmöglichkeiten zu schaffen und überzeugende Anwendungsfälle zu entwickeln, die einen klaren Mehrwert im Alltag bieten. Gleichzeitig müssen Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Sicherheit ernst genommen und adressiert werden.
Avatar Worlds haben das Potenzial, den Medien- und Kommunikationsmarkt mehrwertschöpfend zu ergänzen. Sie bieten neue Plattformen für Werbung, Content-Creation und interaktive Erlebnisse, die weit über die Möglichkeiten traditioneller Medien hinausgehen. Diese Entwicklung wird nicht nur bestehende Formate ergänzen, sondern auch völlig neue Formen der Medienproduktion und -erfahrung ermöglichen.
Im Bereich der Werbung können wir einen Wandel von passiven Anzeigen zu interaktiven, erlebnisorientierten Kampagnen in virtuellen Welten bereits heute beobachten. Nutzende könnten Produkte in 3D erkunden, virtuelle Testzentren besuchen oder an markenbezogenen Erlebnissen teilnehmen. Der Aufstieg virtueller Influencer:innen und Avatare könnte noch weiter gehen, mit Marken-Avataren, die als interaktive Repräsentanten fungieren und direkt mit Kunden interagieren. Neue Formen des Storytellings könnten entstehen, mit immersiven, interaktiven Geschichten, in denen Zuschauende zu aktiven Teilnehmenden werden. Dies könnte die Art und Weise, wie wir Filme, Serien und andere Unterhaltungsformate konsumieren, revolutionieren. Virtuelle Konzerte und Events, wie wir sie bereits in Fortnite gesehen haben, könnten zur Norm werden und die Möglichkeit bieten, Erlebnisse zu skalieren und einem globalen Publikum zugänglich zu machen.
Avatar Worlds könnten auch die nächste Evolution sozialer Medien darstellen, mit vollständig immersiven sozialen Räumen, die weit über Text, Bilder und Videos hinausgehen. Neue Monetarisierungsmodelle könnten entstehen, bei denen virtuelle Güter, von Avatar-Kleidung bis hin zu digitalen Sammlerstücken, neue Einnahmequellen für Unternehmen und Creator eröffnen.
Die Analyse des Nutzungsverhaltens in virtuellen Welten eröffnet die Möglichkeit hochpersonalisierter Medien- und Werbeerlebnisse. Im Bildungsbereich könnten Medienunternehmen immersive Lernumgebungen schaffen, die traditionelle Bildungsformate ergänzen oder sogar ersetzen.
Diese Entwicklung bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Datenschutz und Privatsphäre rücken in den Fokus, wenn jede Interaktion in virtuellen Welten potenziell aufgezeichnet und analysiert wird. Ebenso wird es unerlässlich sein, ethische Richtlinien für die Gestaltung und Nutzung dieser neuen Medienformen zu etablieren, um Missbrauch und negative gesellschaftliche Folgen zu verhindern.
Unternehmen im Medien- und Kommunikationssektor müssen früh praktische Erfahrungen sammeln und Kompetenzen im Bereich der Avatar-Welten aufbauen. Gleichzeitig ist strategisches Handeln gefragt, da nicht jede Marke oder jedes Produkt gleichermaßen von Avatar-Worlds profitiert. Der Fokus liegt auf authentischen Erlebnissen, die echten Mehrwert bieten und nicht nur auf Neuheitseffekten beruhen.
Die Zukunft des Medien- und Kommunikationsmarktes in Avatar-Worlds bringt spannende und transformative Entwicklungen. Inhalte entstehen, verbreiten sich auf völlig neue Weise und lassen sich innovativ konsumieren. Unternehmen, die die Chancen dieser neuen Plattformen kreativ und verantwortungsvoll nutzen, sichern sich einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil in der digitalen Zukunft.
Avatar-Worlds stehen vor einer aufregenden Zukunft, die unsere Kommunikation, Arbeitsweise und Lebensart grundlegend verändern wird. Die Entwicklung verläuft wahrscheinlich eher linear als sprunghaft und wird durch fortlaufende Verbesserungen in Technologie, Inhalten und Akzeptanz geprägt.
Entscheidend für den Erfolg werden technologische Fortschritte sein, die ein nahtloses, immersives Erlebnis ermöglichen. Ebenso wichtig sind überzeugende Anwendungsfälle, die echten Mehrwert bieten und über bloße Neuheitseffekte hinausgehen. Die Lösung von Sicherheits- und Datenschutzfragen spielt eine zentrale Rolle, damit das Vertrauen der Nutzenden wächst. Letztlich entscheiden die gesellschaftliche Akzeptanz und die Integration in den Alltag, ob Avatar-Worlds fester Bestandteil unseres Lebens werden.
Es liegt an uns, diese Technologie so zu formen, dass sie unser Leben bereichert und neue Möglichkeiten schafft. Die Reise in diese digitale Dimension hat gerade erst begonnen, und es bleibt spannend, welche Entwicklungen die virtuelle Zukunft bringt.
Sie wollen mehr wissen? Sich mit uns austauschen? Schreiben Sie uns gerne an: Strategie(at)stroeer.de